»Auf nach Mahagonny«

Kim Kowalke


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© courtesy of Kurt Weill Foundation for Music, New York
Kim Kowalke, Präsident der Kurt Weill Foundation for Music in New York City.

Im zweiten Teil des Interviews erklärt Kim Kowalke, Präsident der Kurt Weill Foundation for Music in New York, worauf es ihm bei der Zusammen stellung der Oper ankommt. Nachdem Kurt Weill ja keine endgültige Version hinterlassen hat, gibt es hier viele Fragen, deren Beantwortung einer profunden Kenntnis der Aufführungsgeschichte von Mahagonny bedarf.

Jede Inszenierung einer Oper wirft Fragen auf, »Mahagonny« zählt diesbezüglich wahrscheinlich zu den Werken, bei denen die Herausforderung besonders groß ist. Vor kurzem hat die UE eine Reihe korrigierter Partitur- und Orchesterstimmen herausgegeben, die auch Anhänge sowie alternative und optionale Einlagen beinhaltet. Welche editorischen Probleme werden mit dem neuen Material angesprochen?

Kowalke: Es handelt sich dabei nicht um eine kritische Werkausgabe; das bleibt ein Respekt einflößendes Zukunftsprojekt der Kurt Weill Edition. Zwischenzeitlich wollten wir aber etwas haben, das Dirigenten und Regisseuren die notwendigen Materialien bietet, um fundierte Entscheidungen zur Zusammenstellung ihrer Aufführungen von Mahagonny zu treffen. Es gibt keine endgültige Fassung von Mahagonny und wahrscheinlich wird es niemals zwei Inszenierungen geben, die bezüglich des musikalischen Texts ident sind; zu oft muss eine Wahl getroffen werden, es gibt zu viele Optionen.

Welches Havanna Lied soll man einsetzen? Das heute bekanntere, das Weill 1931 für Lenya anlässlich der Aufführung in Berlin geschrieben hat, oder die Urfassung, die weniger liedhaft und eher neoklassizistisch ist, fast an Hindemith erinnert? Soll man das Kraniche-Duett integrieren, das ursprünglich als Ersatz für Teile der Bordell-Szene diente, deren Aufführung 1930 durch die Zensur untersagt wurde?

Wenn man diese Szene heute, wie in der Urfassung beschrieben, im zweiten Akt zeigt – wie soll man dann mit dem Duett umgehen? Kann man es im dritten Akt ansiedeln, wie es David Drew in seiner 1969 bearbeiteten Vokalpartitur tut, oder vielleicht im ersten Akt im Umfeld des Beginns der Beziehung von Jenny und Jimmy, zwischen Nr. 7 und 8? Auch an anderen Stellen könnte es vielleicht passen. Weill selbst sprach von einer »losen Struktur« seiner Nummern-Oper, und die Einbeziehung/Platzierung des Kraniche-Duetts ist ein gutes Beispiel dafür. Einige Inszenierungen haben gezeigt, dass es in allen drei Akten seine dramaturgische Berechtigung haben kann.

Wenn man sich also entscheidet, das in sehr neoklassizistischem Stil gehaltene Kraniche-Duett einzubinden, sollte es mit dem ursprünglichen Havanna Lied im gleichen Stil verbunden werden. Oder möchte man es der bearbeiteten Fassung gegenüberstellen? Wenn man dann die beiden Anleihen aus dem Songspiel einfügt, den Benares Song und God in Mahagonny, wohin damit, welchem dramaturgischen Zweck sollen sie dienen?

Wenngleich die Oper in drei Akten angelegt wurde, entscheiden sich heute die meisten Inszenierungen für die Option, sie in zwei zu zeigen, mit nur einer Pause. Wenn man sie in drei Akten macht, soll man Jimmys Arie Nur die Nacht an das Ende des zweiten Akts stellen, wo sie ursprünglich war, oder soll man sie an den Beginn des dritten Akts schieben, wo sie Weill, ich glaube, für die zweite Aufführung, in Kassel, platzierte? Derartige Auswahlmöglichkeiten lösen so etwas wie einen Dominoeffekt aus, der ein Kombinieren und Anpassen von Übergängen sowie Abschlüssen der Akte erfordert.

In dem neuen Material zeigen wir daher alle diese Möglichkeiten auf, auch alle bekannten autorisierten Schnitte in verschiedenen Musiknummern, wie sie in den ersten Inszenierungen aufgeführt wurden. Wir bieten Dirigenten und Regisseuren an, sachkundige Entscheidungen treffen zu können, die den Umständen und Konzepten ihrer Produktion angepasst sind. Ich habe soeben eine sehr genaue Zusammenfassung der unterschiedlichen Optionen geschrieben, die den Materialien beiliegen wird und die Auswahl für Dirigenten sowie Regisseure einfacher machen wird. Wenn die Auswahl einmal getroffen ist, werden sich die Orchestermaterialien passend einfügen, ohne dass zusätzliches Material beim Verlag angefordert werden muss.

Eine andere wichtige Entscheidung, die Dirigenten treffen müssen, bezieht sich auf die Größe der Streicherbesetzung. Weill hat in seiner handschriftlichen Gesamtpartitur neben Violine, Viola, Violoncello und Basslinien Zahlen beigefügt beziehungsweise 6-3-2-2. Wir wissen nicht, wann er die Ziffern geschrieben hat, auch nicht, ob sich die Zahlen auf Spieler oder auf Pulte beziehen, wir wissen ebenso wenig, ob es sich um die Minima für ein kleines Theater, wie das der Berliner Aufführung, handelt, wo es sehr beengt gewesen sein muss, oder ob er überhaupt etwas ganz anderes damit gemeint hat.

Ich habe Maurice Abravanel, der die Aufführung in Kassel dirigiert hat, gefragt. Weill kam zu den Endproben dorthin, und nachdem Abravanel in Berlin sein Schüler war, nahm ich an, Weill hätte ihm gesagt, was er will. Abravanel sagte: »Natürlich haben wir das gesamte Orchester, alle Streicher eingesetzt. Wir waren in einem Opernhaus und Weill meinte: ›Gut, so passt es‹.« Ich habe es in einigen großen Häusern mit nur sechs Violinen gehört, und es passte überhaupt nicht. Bei dem ziemlich groß besetzten Bläsersatz und den Bläsergruppen hätten die Streicher in weiten Teilen des Stücks auch zu Hause bleiben können. An exponierten Stellen, wie der Hurrikan-Szene, kam der Streicherklang gar nicht zur Geltung. Wenn man sich in einem Saal mit 3000 Plätzen befindet, kann man dieses Werk nicht mit sechs Violinen aufführen. Ich denke, wie schon erwähnt, dass man sich den individuellen Gegebenheiten anpassen und die richtige Größe für die Streicherbesetzung danach ausrichten muss, wie sie den jeweiligen akustischen Verhältnissen gerecht wird. Wie gesagt, es ist nicht festgelegt. Fundierte Entscheidungen müssen getroffen werden.

Das ist nun möglich ...

Kowalke: Das hoffe ich!

»Das neue Material zeigt neue Möglichkeiten auf.«

Um noch einmal auf die Aufführung in Berlin und Lenya zurückzukommen. Sie sagten, dass das nicht als exemplarisch gelte, denn es gäbe natürlich nur eine Lenya. Die umfangreichen Revisionen, die gemacht wurden, um Lenya Rechnung zu tragen, haben Missverständnissen über Mahagonny und darüber, wie es besetzt sein sollte, Vorschub geleistet. Könnten Sie das ausführen?

Kowalke: Richtig. Weills Absicht war immer ganz eindeutig, dass Mahagonny als Oper in einem Opernhaus aufgeführt werden soll – im Gegensatz zu Die Dreigroschenoper oder Happy End, die für singende Schauspieler geschrieben wurden und zu großen Theatererfolgen wurden. Die Berliner Inszenierung von Mahagonny war ein Sonderfall, ein letzter Ausweg, nachdem alle Opernhäuser eine Aufführung des Werks verweigert hatten. Die einzige Möglichkeit für Weill, es in Berlin zeigen zu können, war, das Angebot von Ernst Josef Aufricht anzunehmen und es als privates Projekt im Theater am Kurfürstendamm zu zeigen, mit einigen der damals berühmten singenden Schauspieler in den Hauptrollen, die in Die Dreigroschenoper mitgewirkt hatten. Halten wir aber fest, dass Harald Paulsen, der Macheath und Jimmy sang, ein recht berühmter Operettentenor war. Dirigent in Berlin war Alexander von Zemlinsky, und Adorno behauptete, es sei die beste musikalische Umsetzung des Stücks gewesen, die er gehört habe.

Ich möchte aus zwei Briefen Weills zitieren. Der erste stammt vom Februar 1930, im Vorfeld der Premiere in Leipzig. Er schrieb an Abravanel: »Mahagonny ist eine Oper, eine Oper für Sänger. Es mit Schauspielern zu besetzen, ist völlig unmöglich. Nur dort, wo ich es explizit vermerkt habe, dürfen gesprochene Worte vorkommen, und jedwede Änderung ist nur mit meiner ausdrücklichen Erlaubnis möglich.« Das ist ziemlich eindeutig. Später in diesem Jahr, nach den ersten Aufführungen, warnte er: »Personen, die nur das Libretto kennen, haben das Gerücht verbreitet, Mahagonny könne mit Schauspielern besetzt werden. Das wäre natürlich absolut unmöglich.«

Heute, achtzig Jahre später, gibt es immer noch Theater, die es als Theaterstück mit Musik aufzuführen versuchen. Es gibt Opernhäuser, welche die Rolle der Jenny so besetzen, dass sie eine Oktave nach unten transponiert und großteils gesprochen werden muss. Oder wie kürzlich an einem der renommiertesten Opernhäuser der Welt geschehen, jemanden in den Chor neben Jenny zu stellen, der die höheren Passagen übernimmt. Wozu? Es gibt heute Opernsänger, die gute Darsteller sind, also scheint die Besetzung mit jemandem, der den stimmlichen Anforderungen nicht gewachsen ist, unsinnig.

Vielleicht strahlt Lenya als Vorbild immer noch nach wegen der Gesamtaufnahme von 1958, aber man sollte nicht vergessen, dass sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr annähernd wie der mädchenhafte Singvogel klang, der sie in den 1920er-Jahren gewesen war. In den späteren Jahren ihrer Karriere musste alles für sie tiefer transponiert werden, ohne dass irgendwie darauf hingewiesen wird. Ich glaube, dass mir jede Sopranistin, die die Rolle der Jenny so gesungen hat, wie sie geschrieben ist, beipflichten wird, dass sie eine Herausforderung ist. Deshalb ist es auch kein Zufall, dass die meisten großen Sängerinnen der Lulu der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch die Jenny gesungen haben und die Rolle ansprechend fanden, stimmlich im gleichen Fach sozusagen.

Ich habe einmal Jon Vickers gefragt, warum er nicht den Jimmy gesungen habe, und er antwortete: »Weil Jimmy stimmlich schwieriger ist als Tristan.« Schwierig nicht nur wegen des hohen C am Ende von Nur die Nacht, sondern wegen all der Gs davor, eines nach dem anderen, wirklich kontinuierlich F-G, F-G, so dass, wenn man beim hohen C ankommt, nichts mehr übrig ist. Er meinte, dass er es für eine Tonaufnahme machen könnte, es aber nicht Abend für Abend auf der Opernbühne singen wolle.

»Die Rolle des Jimmy ist stimmlich schwieriger als die des Tristan.«

Gibt es noch andere spezielle Überlegungen betreffend eine starke Besetzung von Mahagonny, die Sie gerne weitergeben möchten?

Kowalke: Ich habe wunderbare Inszenierungen von Mahagonny während der vergangenen 30 Jahre in Opernhäusern weltweit gesehen. Zum ersten Mal habe ich Mahagonny 1974 live gesehen. Ich glaube, das war die vierte Inszenierung in den USA. Die erste war die desaströse am Broadway in den frühen 1970er-Jahren. Carmen Capalbo, auch Regisseurin der erfolgreichen Inszenierung von Die Dreigroschenoper am Theater de Lys, produzierte Mahagonny in ähnlicher Weise. Während die rund 90 Voraufführungen liefen, versuchten Lenya und Stefan Brecht, die Aufführung per Gerichtsbeschluss untersagen zu lassen. Zu den nicht genehmigten Änderungen, die vorgenommen worden waren, zählte auch das Hinzufügen einer Rockband zum Orchester! Als die Aufführung schließlich – nachdem man sich wieder an den originären Notentext hielt – doch genehmigt wurde, wurde die Produktion wegen vernichtender Kritiken sofort wieder eingestellt. Die zweite fand an der San Francisco Spring Opera statt und wurde dann von der Washington Opera übernommen, glaube ich. 1974 wurde Mahagonny dann am Yale Repertory Theatre in Kollaboration mit der Yale School of Music gezeigt, wobei singende Schauspieler auftraten, ganz im Geist der Berliner Produktion von 1931; das waren also nicht vorrangig Opernsänger, doch fast alle waren als Sänger gut genug, um es so aufzuführen, wie es geschrieben war. Da meine spätere Schwiegermutter darin die Begbick spielte, war ich fast jeden Abend dort, bei jeder Probe und, ich denke, in rund 30 Aufführungen. Seither kenne ich jede Note von Mahagonny. Alvin Epstein inszenierte und Otto-Werner Müller dirigierte diese recht beeindruckende Produktion in einem Theater in New Haven mit 700 Sitzplätzen.

Natürlich gab es in den nachfolgenden drei Jahrzehnten noch weitere einprägsame Produktionen. Die von Ingo Metzmacher in Hamburg oder von Ruth Berghaus und Markus Stenz in Stuttgart, auch die atemberaubende Produktion in Madrid, die es nun auf DVD gibt, brillant dirigiert von Pablo Heras-Casado. Oder auch die Produktion 1979 an der Metropolitan Opera, dirigiert (eher langsam) von James Levine, aber mit Teresa Stratas als Jenny, von Lenya geadelt als ihre »Traum-Jenny«.

Vielleicht sollten wir auch noch über die Handlung selbst sprechen? Jimmy wird wegen Beihilfe zum Mord an einem Freund zu drei Tagen Gefängnis verurteilt, wegen Ruhestörung wird ihm für ein Jahr die Wahlberechtigung entzogen, wegen Verführung eines Mädchens namens Jenny Smith erhält er vier Jahre und dafür, dass er, während ein Hurrikan wütete, verbotene Lieder gesungen hat, zehn Jahre. Für das Vergehen jedoch, seine Schulden nicht zu zahlen, wird Jimmy zum Tode verurteilt, denn »es gibt kein größeres Verbrechen als einen Mann ohne Geld«. Das war zur Zeit der Uraufführung 1930 sicher eine gewichtige Aussage, aber können wir auch behaupten, dass Mahagonny heute aktueller denn je ist?

Kowalke: Nachdem Begbick Jimmy dafür, dass er seine Zechschulden nicht bezahlt hat, zum Tode verurteilt, weist eine Projektion/Durchsage darauf hin (dem Sinn nach): »So groß ist die Liebe zum Geld in unserer Zeit, dass es unwahrscheinlich ist, auch nur irgendjemand von Ihnen würde freiwillig Jimmys Schulden bezahlen.« Dieser Moment ruft jedes Mal nervöses Lachen bei den Zuschauern hervor. Die Scheinwerfer werden nun tatsächlich auf das Publikum gerichtet und plötzlich handelt das Stück von uns, nicht nur von den Darstellern auf der Bühne.

Ich bin sicher, dass die zyklische Häufigkeit der Inszenierungen dieser Oper mit Dingen wie Rezession in einem Zusammenhang steht, mit Kriegen oder mit weiteren, der menschlichen Gier entspringenden Gräueltaten. Möglicherweise mit einer Zeitverzögerung von drei bis vier Jahren, aber es ist sicher kein Zufall, dass gerade zurzeit Mahagonny an acht bis zehn Opernhäusern pro Saison zu sehen ist. Das ist vermutlich häufiger als je zuvor in seiner Geschichte. Ich glaube, dass das in direktem Zusammenhang mit unserer Zeit steht, und die Relevanz von Mahagonny im Hinblick auf die Extreme unseres globalen Kapitalismus und der damit einhergehenden Unmenschlichkeit zu sehen ist. Man erinnere sich daran, dass Weill meinte, Mahagonny sei ein Moralstück, eine moderne Entsprechung zu Sodom und Gomorrha. Es war als belehrende Erzählung angelegt und es ist traurig festzustellen, dass seine Warnungen über die Jahrzehnte zunehmend prophetisch und dringlicher geworden sind.

»Zu den nicht genehmigten Änderungen, die vorgenommen worden waren, zählte auch das Hinzufügen einer Rockband zum Orchester!«

Weill und Brecht untergraben in dem ganzen Werk erfolgreich tradierte Motive und opernhafte Überlieferungen. Ihr Spiel mit »Gott in Mahagonny« jedoch, kurz bevor Jimmy hingerichtet wird, zählt zum Beunruhigendsten überhaupt, zumindest für mich. Wie kommt es, dass dieser Besuch von Gott mit dem traditionellen »Deus ex machina«-Opernmotiv spielt, es völlig durcheinanderbringt und es darüber hinaus komplett auf den Kopf stellt?

Kowalke: Nun, das ist eine schwierige Frage. Die Menschen von Mahagonny sagen »Nein« zu Gott in Mahagonny. Im Grunde erleben wir mit eigenen Augen den Tod von Gott. Wahrscheinlich kann man sagen, dass sich diese Metapher auf den Tod aller »Deus ex machina« erstreckt, denn was danach passiert, ist ein Trauermarsch als Finale, den einige Dirigenten mit dem Ende der Götterdämmerung verglichen haben.

Was ist die Botschaft dahinter? »Nichts kann einem toten Mann helfen, nichts kann uns und euch oder niemandem helfen.« Ich denke, Gott in Mahagonny ist die Verbindung zu genau diesem endgültigen, nihilistischen Moment. Wie Sodom und Gomorrha geht die Stadt in Flammen auf, eine Zerstörung, welche die Menschen von Mahagonny in ihrer Verfolgungsjagd nach dem Genuss über sich selbst gebracht haben. Am Schluss können sie nur ziellos marschieren, tragen Flugzettel mit widersprüchlichen, leeren politischen Slogans. Es gibt keinen Ausweg und keine treffenden Antworten, keinen Boten zu Pferde, um den Tag zu retten. Aus diesem Grund ist das Ende von Mahagonny so verstörend, so erdrückend.

Dirigenten, die sich über Weills Tempoangaben hinwegsetzen und den Trauermarsch am Beginn zu schnell angehen, das Tempo dann halten oder gegen Ende hin schneller werden, bagatellisieren ihn dadurch leider oft. Weill schreibt più Largo, wenn wir uns der letzten Strophe nähern, danach molto Largo für den letzten Satz. An dieser Stelle geht es wirklich um das Ende der Welt und sie muss das ganze Gewicht eines apokalyptischen Mahler‘schen Trauermarsches tragen. Mahler war einer von Weills Göttern, gleich nach Mozart.

Es ist sicher kein Zufall, dass das Finale des ersten Akts von Mahagonny mit einem Choral beginnt, der nur von den Männern aus Mahagonny gesungen wird: »Haltet euch aufrecht, fürchtet euch nicht.« Unmissverständlich zitiert er das Lied der zwei geharnischten Männer aus dem zweiten Akt von Mozarts Zauberflöte: »Der, welcher wandert diese Straße voll Beschwerden.« Später in seiner Karriere sollte sich Weill daran erinnern, dass er in Busonis Meisterkursen viel Zeit damit verbracht hatte, die Zauberflöte zu studieren, die Busoni für eine vorbildliche Synthese nicht nur von Seria-Oper, Buffa-Oper und Singspieltradition, sondern auch von Ernsthaftigkeit und Popularität, von Alltäglichem und Ewigem hielt. So wird jetzt in Weills Laufbahn das Bestreben erkennbar, in diese Fußstapfen zu treten, indem er hybride Formen von Musiktheater mit sozialer und moralischer Gültigkeit für ein breites Publikum auf beiden Seiten des Atlantiks entwickelte.

Interview: Norman Ryan


Diese Transkription wurde auf der Grundlage eines mündlichen Interviews in der Kurt Weill Foundation for Music in New York City im März 2012 bearbeitet.