Briefwechsel zwischen Schönberg und Helene Berg



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Schönberg an Helene Berg

Hollywood, 1. 1. 1936
Arnold Schoenberg
5860 Canyon Cove
Hollywood, California
Tel. Hempstead 1095a


Used by permission of Belmont Music Publishers © Copyright Belmont Music Publishers

Liebe Helene,

noch immer kann ich es nicht fassen, dass mein lieber Alban nicht mehr da ist. Noch immer rede ich in Gedanken mit ihm, so wie vorher und stelle mir seine Antworten vor und es ist mir noch immer, als ob er nur so weit von mir weg wäre, als eben Europa von Amerika. Und ich kann mir deinen Schmerz vorstellen, wo ich weiss, wie innig ihr beide miteinander gelebt habt. Es ist schrecklich, dass er so früh gehen musste, menschlich vor Allem und auch künstlerisch.

Jetzt eben, wo er mit seiner Lulu-Suite neuerdings soviel künstlerische Anerkennung gefunden hatte, die sicherlich zu einer baldigen Aufführung der ganzen Oper geführt hätte, die ja wohl nun trotzdem wahrscheinlich bald kommen wird, die ihm aber eine Genugtuung für das gewesen wäre, was er in Deutschland und Oesterreich erleben musste. Denn hier in Amerika war er voll anerkannt. Das beweisen mir nicht nur die sehr vielen Nachrufe, die voll ehrenden Ausdrucks sind, sondern auch die Teilnahme, die mir, der ich ja einer der Haupt-Leidtragenden bin, bezeigt werden. Und wie sehr die Oeffentlichkeit daran teilnimmt, beweist, dass sogar im Radio über ganz Amerika eine dramatisierte Scene aus seinem Leben gesendet worden ist, in der er selbst, der Kapellmeister Richard Lert und ich als sprechende Personen auftreten. Ich selbst habe diese Sendung leider nicht gehört, denn ich wusste nichts davon. Aber ich werde an die amerikanische Zeitschrift Time nach Chicago, Ill. schreiben und um eine Kopie des Manuskripts bitten, die ich dir senden werde. Vielleicht willst du eventuell auch selbst hinschreiben, für den Fall, als man sie mir nicht schickt. Es soll sehr schön gewesen sein.

Ist das ein Trost? Ich bezweifle es, aber ich weiss, dass es dir wohltun wird, dich jetzt mit allem zu beschäftigen, was seinen Nachruhm ausmacht und ich bin davon überzeugt, dass dir das Gefühl der Pflicht, alles zu sammeln, was diesem Nachruhm hilft und ihn betrifft, dass diese Beschäftigung mit allem, was seinem Werk Leben geben kann, helfen wird, den Schmerz zu ertragen.

Man kann nichts anderes tun: um den Toten trauern und sich stark machen, damit man kräftig genug bleibt, um so zu trauern, wie er es verdient!
Soll ich viel von meiner Teilnahme sprechen. Ich denke, die kannst du dir vorstellen.

Aber eine Bitte habe ich: schreibe mir so ausführlich als möglich, wie das alles gekommen ist. Hat er viel gelitten? War er bei Bewusstsein? War das wirklich eine Todeskrankheit oder ein verhängnisvoller Zufall?

Tausend innige Grüße
Dein
Arnold Schönberg

Ich muss noch nachtragen:
Als ich in einem New Yorker Zeitungsausschnitt las, dass die Lulu nicht fertig instrumentiert ist und dass Krenek oder ein Anderer das machen sollte, hatte ich die spontane Idee, dich zu fragen, ob ich es nicht soll. Aber meine Frau machte mich darauf aufmerksam, dass bei den jetzigen Verhältnissen in Deutschland, das dem Werk sicher schaden würde. Nun aber, falls Alban den Wunsch geäussert haben sollte, dass ich den Rest instrumentiere, so stehe ich, falls Du es auch für richtig findest, selbstverständlich ganz und unentgeltlich zur Verfügung. Und selbstverständlich auch in jeder anderen künstlerischen, menschlichen oder finanziellen Angelegenheit. Hier, hoffe ich, wird Klemperer voraussichtlich zur Gedenkfeier die Lulustücke aufführen. Dann habe ich Maurice Zam zu einem Vortrag veranlasst, wo er die Sonate spielen und besprechen wird. Vielleicht kann ich selbst auch etwas arrangieren.

Nochmal herzlichst
Arnold Schönberg

Fotografie: Alban Berg Stiftung
Helene Berg (1885–1976) war die Ehefrau von Alban Berg. Sie heirateten am 3. Mai 1911. Offiziell war sie die Tochter von Franz und Anna Nahowski. Jedoch erwähnen Persönlichkeiten wie Alma Mahler-Werfel, Peter Altenberg, Bruno Walter und Soma Morgenstern in verschiedenen Publikationen Helene Berg wie selbstverständlich als eine biologische Tochter des Kaisers Franz Joseph I. Sie gründete 1968 die »Alban-Berg-Stiftung«. Das Foto stammt aus dem Jahr 1909.

Helene Berg an Schönberg

Wien, 14. 1. 1936 

Verehrtester Freund!
Ich danke Dir für Deinen lieben Brief u. Deine wundervolle Freundschaft, die über den Tod fortbesteht. Noch fass ich es nicht, dass uns Alban für immer verlassen hat, aber wenn Augenblicke des Bewusstwerdens kommen, glaube ich in einen Abgrund zu stürzen. Alban hat so viel gelitten und sein Sterben war schwer. Er sprach noch am Tag, an dem ich Euch schrieb, so lieb von Dir und drängte, dass ich mich beeilen möge. Er war bis zuletzt bei Bewusstsein und sein Todeskampf war furchtbar. Über 4 Stunden. Immer sehe ich sein verzweifeltes Gesicht vor mir und diese traurigen Augen! Immer frage ich: Warum nicht ich?

Dass du, verehrter Freund nun in meine tiefe Verzweiflung hinein mit Deinem herrlichen Vorschlag gekommen bist, die restliche Instrumentation des letzten Aktes von Lulu zu übernehmen, war der erste Lichtstrahl in meiner Finsternis! Wie kann ich Dir danken! Ich weiß, dass Alban glücklich darüber wäre, dass Lulu nun doch etwas Vollkommenes wird, dass man weder an Vorteile, noch Politik denken kann, wenn es um ein Kunstwerk geht.

Ich danke dir von ganzem Herzen dafür.

Dir und deiner lieben Frau alles erdenklich Gute.


Deine Helene

 


Mit freundlicher Genehmigung der Alban-Berg-Stiftung