Béla Bartók, wie ich ihn kannte

Jenö Takács


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Ich sah Bartók das erste Mal in Salzburg am 7. August 1922 anlässlich des Gründungsfestes der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik. Er spielte selbst den Klavierpart seiner ersten Violinsonate mit Mary Dickenson-Auner, einer liebenswerten Geigerin irischer Abstammung, die in Wien verheiratet war.

Erst vor wenigen Jahren verstarb sie hochbetagt. Diese Sonate, eines seiner besten Werke, versetzte mich in helle Begeisterung. Ich wollte sie auch spielen, sie war aber noch im Manuskript. In den Folgejahren begann ich, Bartóks Werke in meinen Konzerten zu spielen: in Österreich, Ungarn, Jugoslawien und später in Deutschland. Mein Lehrer an der Musikakademie, Paul Weingarten, hat mich dabei unterstützt. Er selbst spielte Bartók in seinen Konzerten. Allmählich habe ich dann auch einige Briefe mit Bartók gewechselt, in welchen er mir Ratschläge erteilt hat. Zu einer Begegnung kam es aber erst später, nämlich im Juli 1926, einen Tag nach meiner Diplom­prüfung in Wien; ich gönnte mir eine Reise per Schiff nach Budapest.

Der Tag meines Besuches bei Bartók war schon lange vorher brieflich festgelegt worden. Zufälle gab es bei ihm keine, alles musste planmäßig vor sich gehen. Unpünktlichkeit verabscheute er, sie war und blieb eine unverzeihliche Sünde.

Bartók selbst öffnete die Tür. Er logierte damals am Szilágyi-Dezsö-Platz in einem Mietshaus im Halbstock. Zwei der Zimmer waren ganz finster, und dies war die Ursache, dass die Bartóks von dort auszogen, wie mir 1977 Béla Bartók jun. mitteilte. Bartók stand damals im 46. Lebensjahr. Vom Publikum noch umstritten, war er als »composer of the composers« in Fachkreisen hochgeachtet. Seine Erscheinung? Eher klein – große Komponisten sind oft klein – zart, watteweißes Haar, sehr mager, aber mit gesunder, frischer Gesichtsfarbe machte er einen durchaus jugendlichen Eindruck. Das Zimmer, in welches er mich geleitete, war mit bunten Bauernhandarbeiten verziert und mit geschnitzten Holzmöbeln möbliert. Nachdem Bartók mich Platz nehmen lassen hatte, folgte eine Pause. Sie schien mir sehr lang, als ob er gewartet hätte, dass ich das Wort ergreife. Wie wir ins Gespräch kamen nach dieser eher peinlich anmutenden Pause, weiß ich heute nicht mehr. Später erst kam ich darauf, dass eine Situation wie diese bei Bartók nichts Außergewöhnliches war; sie war eigentlich für ihn typisch. Es dauerte Jahre, bis sich sein Verhalten auch mir gegenüber änderte, dann allerdings gründlich. Wir konnten die uns interessierenden Gespräche kaum beenden!

 

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Jenö Takács (1902–2005)

Ich möchte auf eine interessante Erfahrung hinweisen: In zwei oder drei Erinnerungsartikeln über Bartók, einer übrigens von H. H. Stuckenschmidt, sprachen die Verfasser über Bartóks sprechende, ausdrucksvolle »blaue« Augen, die sie besonders beeindruckt hätten.

Ich wurde selbst einen Moment unsicher, als ich das las. In Wirklichkeit waren sie dunkelbraun – man sehe sich die Photos an – von einer Intensität des Ausdrucks, wie ich es bei anderen Menschen kaum gesehen habe. Es waren sprechende Augen, die alles auszusagen vermochten, ohne Veränderung der Gesichtszüge. Diese blieben oft fast maskenhaft unbeweglich. Aber auch ins Leere blicken konnte er, als ob die Umgebung nicht existierte, besonders dann, wenn er müde und abgearbeitet war, oder nach einer Krankheit. Ausgedehnte Konzertreisen ermüdeten ihn. Seine Sinne waren phantastisch ent­wickelt, nicht nur sein Gehörsinn: Alles hat er früher gesehen, gespürt, gerochen, gefühlt als andere. Interessant waren auch seine Hände, die für seine zarte Gestalt fast zu stark und nervig waren – muskulöse Pianistenhände. Seine Kleidung war immer korrekt, etwas professoral, nicht unelegant, unbetont; meistens trug er Anzüge aus dunklem Stoff mit Weste, in deren Tasche eine Uhr steckte. Die Uhr verwendete er oft auch als Metronom.

Er hat nach der Uhr gelebt, denn nur so konnte er sein gigantisches Arbeitspensum erfüllen. Einen Sekretär konnte er sich nicht leisten. Als man schon längst die modernen dicken Hornbrillen trug, blieb Bartók bei dem sogenannten »Zwicker«, einem Requisit der Jahrhundertwende. Dies verlieh ihm ein etwas altmodisches Aussehen. Aber diese Details schienen unwichtig, seine gesamte Erscheinung war so faszinierend, in einem gewissen ­Sinne »transzendent«, »nicht aus dieser Welt«, so dass selbst Menschen, die keine Ahnung hatten, wer er war, seiner Person die größte Hochachtung entgegenbrachten. War es die Ausstrahlung des Genies?

In Wien, wo ich auch Vorträge zu halten hatte, wurde ich einige Male von Franz Werfel und Frau Alma (Mahler) zu anregenden Sonntagnachmittagsgesprächen in das herrschaftliche Haus auf der Hohen Warte eingeladen. Hier habe ich auch die Bergs wiedergesehen, leider war es das letzte Mal, da Alban Berg kurz darauf, am 24. Dezember 1935, starb.

Der Ort meiner nächsten Begegnung mit Bartók war sein kleines Arbeitszimmer im prunkvollen Gebäude der Akademie der Wissenschaften an der Kettenbrücke in Budapest. Da er 1936 endlich von den Bürden der Lehrtätigkeit befreit wurde, konnte er sich ganz seiner Forschertätigkeit widmen, indem er die von ihm und anderen gesammelten Volkslieder von den Phonographwalzen notierte. Wir plauderten in seiner Jausenpause, wobei er aus einer Thermosflasche Kaffee trank.

Seine Sinne waren phantastisch entwickelt, nicht nur sein Gehörsinn.

Jenö Takács

Im Frühjahr 1937 habe ich Kairo für immer verlassen. Nach einem längeren Aufenthalt auf der Insel Rhodos und in Florenz verbrachte ich den Sommer wie gewohnt in Grundlsee. Unterwegs besuchte ich die Werfels in ihrem Haus in Breitenstein am Semmering; dabei konnte ich die meines Wissens später zerstörten Fresken von Kokoschka sehen.

Im August 1937 ist es mir in Grundlsee gelungen, die Partitur meiner Tarantella für Klavier und Orchester zu vollenden. Schon Ende September spielte ich das Werk in Radio Wien unter der Leitung von Max Schönherr. Eine Woche später fand unter dem Dirigenten Ludwig Rajter eine Aufführung im ungarischen Rundfunk statt. Dieses Stück war von Anbeginn an ein großer Erfolg. Noch in Budapest erreichte mich ein Schreiben des Oberregisseurs der Königlichen Oper von Budapest, Gustav Oláh, in ­welchem er mich unter dem Eindruck der Tarantella aufforderte, ein Ballett zu komponieren. Als Libretto bot er mir die Bearbeitung einer Novelle von Théophile Gautier Eine Nacht der Kleopatra an. In großer Eile entstanden einige Skizzen, die dann auch zur Durchführung dieses Planes geführt haben. Bis zur Verwirklichung sollten aber noch drei Jahre verstreichen. Die Uraufführung fand unter dem Titel Nilusi Legenda im Mai 1940 in der Choreographie von Gyula Harangozó, der auch Choreograph von Bartóks Ballett Der holzgeschnitzte Prinz war, statt.

Noch im Herbst 1937 erreichte mich eine Einladung zu einer Konzertreise in die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Situation in Österreich wurde immer bedrohlicher. Schon im Sommer 1937 war es zu Naziputschversuchen gekommen. Viele der Vorsichtigen hatten das Land bereits verlassen. In Wien herrschte Panikstimmung. Die Werfels gaben ihr schönes Haus auf und nahmen Logis in einem Hotel auf der Wiedner Hauptstraße, wo ich sie des Öfteren besuchte. Auf meiner Reise nach Amerika fuhr ich am 12. März 1938 von Wien ab und verbrachte einen Tag in Köln. Es war genau jener Tag, an dem Hitlers Truppen in Österreich einmarschierten. Als ich mich einige Tage später einschiffte, waren bereits die ersten österreichischen Flüchtlinge an Bord. In Amerika verbrachte ich an die vier Monate und gab zahlreiche Konzerte, unter anderem in New York und Philadelphia.

Es war fast ein Leichtsinn, nach Europa zurückzukehren, aber meine Pläne wollte ich nicht aufgeben. Zunächst blieb ich einige Zeit in Paris und fuhr mit der Familie von Stefan Zweig nach Varengeville in die Normandie. Zweig war damals schon in England. Auf der Weiterreise nach Italien erweckte mein österreichischer Pass den Argwohn der faschistischen Grenzbehörden. Endlich tastete ich mich vorsichtig über Ungarn bis nach Siegendorf im Burgenland durch, das bereits dem deutschen Reich einverleibt worden war. Im September 1938 war die Kriegsgefahr derart groß, dass ich wieder auf dem Sprung nach Amerika war. Das sogenannte Münchner Abkommen gewährte aber zumindest eine Galgenfrist. Da meine sämtlichen Freunde in Wien antinazistisch waren, glich die Stadt einem Trauerhaus. Nichts als verzweifelte Menschen, die auf eine Ausreise warteten.

Um dem Einflussbereich des Dritten Reiches auszuweichen, habe ich mich im Januar 1939 in Paris nieder­gelassen. Aber auch hier fand ich kaum Ruhe. Paris war damals voll von österreichischen Emigranten: Beim Mittagessen in einem Restaurant am Park Monceau traf ich fast täglich Alma Maria Mahler-Werfel; Franz Werfel schrieb an einem Roman in einem kleinen Hotel in Versailles; bald trafen auch Emigranten aus Prag ein. In den Pariser Salons, zu denen ich Zugang hatte, wie überhaupt in Frankreich, schien man von der Gefahr, die durch Hitler-Deutschland drohte, keine Ahnung zu haben. Das war zumindest mein Eindruck. Im kleinen Salon von Frau Friederike Zweig-Winternitz versammelten sich österreichische Musiker und Literaten und spielten Kammermusik.

Meinem kleinen Hotel gegenüber in der Rue de Tournon logierte der geniale österreichische Schriftsteller Joseph Roth; dem Alkohol ergeben verbrachte er den ganzen Tag in einem ständigen Dusel im Hinterzimmer des kleinen Bistros.

Bald erschienen Plakate in den Straßen, welche ein Konzert des Ehepaars Bartók ankündigten. Ich wusste es: Bartók liebte Paris über alles. Es war die Stadt, in der er sich immer am wohlsten fühlte. Das erste Konzert fand am 27. Februar 1939 in der Salle Gaveau statt. Unter dem Dirigenten Hermann Scherchen spielten die Bartóks zuerst das Doppelkonzert von Mozart und nach der Pause die Sonate für zwei Klaviere und Schlagwerk von Bartók. Er hatte schon seit langem eine treue Gemeinde in Paris, und der Erfolg war auch dementsprechend. Als ich in der Pause das Künstlerzimmer betrat, empfing mich Bartók sofort mit der Frage: Emigrant?

Bartók liebte Paris über alles. Es war die Stadt, in der er sich immer am wohlsten fühlte.

Jenö Takács

Das nächste Konzert fand am 3. März in einem ­Theater statt. Da es vom französischen Radio ­veranstaltet wurde, wurden nur geladene Gäste zugelassen. ­Bartók sollte unter der Leitung von Ernest Ansermet sein 2. Klavierkonzert spielen, ein Ereignis, dem ganz Paris erwartungsvoll entgegensah. Aber, wie das vorkommen kann, waren die Noten für das Orchester aus Wien nicht angekommen, und so entschloss sich Bartók, um das Konzert nicht zu verlieren, einige Solonummern zu spielen. Er wählte dazu einige Stücke aus dem Mikrokosmos, die noch nicht veröffentlicht worden waren. Ich saß mit dem Nestor der französischen Komponisten und Kritiker, Florent Schmitt, mit Darius Milhaud und dem in Paris lebenden ungarischen Komponisten Tibor Harsányi in einer Loge. Das Programm bestand aus der 4. Symphonie von Albert Roussel, den Vier Orchesteretüden von Strawinsky und der Suite aus dem Ballett Nobilissima Visione von Paul Hindemith, aus lauter vollklingenden modernen Orchester­werken. Zwischen diesen spielte Bartók! Er durchmaß die große Bühne mit seinen so charakteristischen vorsichtigen Schritten, klein, blass, platzierte sich vor dem Flügel und begann in seiner eigenartigen, etwas harten und ­spitzen, aber sehr präzisen und sachlichen Vortragsweise, die Stücke aus dem Mikrokosmos zu spielen. Sie waren alles, nur nicht in diesen Rahmen passend und erregten Befremden bei den Hörern. Uns Musikern, die da in der Loge saßen, erging es nicht viel anders. Gestehen wir es uns ein, die Musik kam uns trocken vor, ohne Inspiration, wie mit dem Zollstock gemessen. Milhaud meinte, ich solle Bartók nahelegen, diese Stücke in seinen nächsten Konzerten in Paris lieber nicht zu spielen. Ich stand zwar mit Bartók in guten und freundschaftlichen Beziehungen, aber ich kannte ihn viel zu gut, um so eine heikle Aufgabe auf mich nehmen zu können, ohne ihn zu kränken. Etwas anderes wäre es gewesen, wenn es um ein älteres Werk gegangen wäre, das er selbst nicht gerne mochte, aber gerade Mikrokosmos, an dem er an die 15 Jahre gearbeitet hatte! Wie gut ich darab tat, mich da nicht hineinzumischen, habe ich erst einige Jahre später gesehen: Ich bekam die sechs Hefte, die 1940 in Amerika erschienen, zugeschickt und machte mich ans Studium. Und siehe da, ich entdeckte, dass diese 153 Stücke in fortschreitender Schwierigkeit zu Bartóks genialsten Schöpfungen gehören. Sie enthalten fast alle Elemente der Musik des 20. Jahrhunderts, aber auch vieles, was schon war und noch kommen soll. In mancher Hinsicht lassen sie sich mit dem Wohltemperierten Klavier von Bach vergleichen. Nur zu froh war ich, dass ich mich von Milhaud nicht hatte hinreißen lassen, Bartók beein­flussen zu wollen. Ich hätte mich unsterblich blamiert.

Am 6. März fand schließlich noch ein Konzert statt, im Klub Triton. Die Sopranistin Lise Daniel sang Lieder von Bartók, und die Bartóks spielten wieder die Sonate für zwei Klaviere und Schlagwerk. An einem der Tage lud uns die Sängerin Madeleine Gray in ihr Heim zum Mittagessen ein. Außer den Bartóks waren noch Ravels Bruder und Rechtsnachfolger und das Ehepaar Castelnuovo-Tedesco zugegen. Sie waren als Emigranten nach Amerika unterwegs. Da Madeleine Gray, eine international bekannte Sängerin, die in vielen Sprachen sang, die Absicht hatte, Bartóks Ungarische Volkslieder zu singen, sollte ich dieselben mit ihr einstudieren. Eine Übersetzung ins Französische kam nicht in Frage, denn dazu wäre die Genehmigung des Verlages Universal Edition notwendig gewesen, die aber Bartók vom inzwischen nazifierten Verlag unmöglich einholen konnte.

Die Bartóks logierten in Paris im Hotel Vouillemont in der Rue Boissy d’Anglas; oft begleitete ich sie bis zum Hotel, wobei wir, in Gespräche vertieft, manchmal eine halbe Stunde vor dem Hotel auf und ab spazierten. Interessant ist zu vermerken, dass ich Frau Bartók erst in Paris kennengelernt habe. In Budapest selbst war sie bei meinen Besuchen nie in Erscheinung getreten.

Anfang April 1939 musste ich nach Budapest reisen. Ich war vom Präsidenten der Philharmoniker, Ernst von Dohnányi, eingeladen worden, in einem Galakonzert mit meiner Tarantella mitzuwirken. Diese Konzerte fanden im Königlichen Opernhaus statt und gehörten zu den größten Ereignissen der Konzertsaison. Gewöhnlich wurde ein berühmter ausländischer Dirigent eingeladen, wie Mengelberg, Ansermet oder Furtwängler. Diesmal war es Issay Dobrowen, damals Direktor der Philharmonie von Oslo. Dobrowen gehörte zu den Lieblingen des Budapester Publikums und kam fast alljährlich, um in der Oper oder ein Konzert zu dirigieren. Seine Konzerte waren Monate im Voraus ausverkauft. Einen Tag vor dem Konzert, als ich mich ins Opernhaus begab, um mit dem Orchester zu probieren, kam Dobrowen bestürzt auf mich zu mit dem Ruf: »Das Konzert ist abgesagt!« Die Polizei hatte die Bewilligung verweigert. Es war nicht schwer zu erraten, dass es hier nicht mit rechten Dingen zuging. Was war tatsächlich geschehen? Wie ich vom ­Sekretär der Philharmoniker erfuhr, hatte die Gesandtschaft eines »fremden« Staates gegen das Konzert Einspruch erhoben. Nun wusste jeder, dass dieser fremde Staat der deutsche Nazistaat war, der opponierte, weil Dobrowen jüdischer Abstammung war. Dass dieser Einspruch jeder gesetzlichen Grundlage entbehrte, versteht sich von selbst, umso mehr, da er nur auf der Annahme beruhte, dass der Dirigent Dobrowen Jude oder jüdischer Abstammung sei. Das alles wurde nicht offiziell kundgegeben, sondern feige verschwiegen. Der Skandal wurde aber dadurch nicht geringer. Als Bartók davon erfuhr, rief er mich sofort an und erbat eine Unterredung, die ich ihm noch für denselben Abend versprach. Er hatte noch ein Rundfunk-Konzert mit dem Geiger Zathureczky zu absolvieren und wollte mich danach im Restaurant der Redoute am Donauufer treffen. Bartók sollte nämlich einige Wochen danach auch ein Konzert mit Dobrowen haben. Die Stunde, die wir verbrachten, war keinesfalls heiter zu nennen.

Der Druck der Ereignisse, dass so etwas in einem »freien« Land möglich sei, lastete auf uns. Bartók meinte, dass man unter solchen Umständen kaum noch Pläne machen könne. Das Beste sei, das Land zu verlassen, die Frage sei aber nur, wohin man gehen könne? Seine folkloristischen Arbeiten konnte er nur in Budapest betreiben, und sie waren noch weit davon entfernt, vollendet zu sein. Er kam auch auf seine materielle Lage zu sprechen, die er durchaus nicht als rosig bezeichnete. Er glaubte sich genötigt, trotz meiner Einwände, Konzerte geben zu müssen, denn seine Einnahmen seien nicht genügend, um seine Ausgaben zu decken. Ich musste mich eigentlich darüber wundern, denn so weit ich es überblickte, war Bartók damals schon ein viel aufgeführter Komponist.

Nach ungefähr einer Stunde, gegen 11 Uhr abends, fuhr ich die Bartóks in meinem kleinen Ford zu ihrem in den Hügeln um Budapest gelegenen Domizil. Es war dies mein letztes Zusammentreffen mit Béla Bartók. Im Mai 1940, als mein Ballett Nilusi Legenda im Opernhaus Budapest aufgeführt wurde, war Bartók bereits in Amerika. Auch zu meinem Konzert mit den Philharmonikern konnte er nicht kommen; er rief mich an, dass er überlastet sei, was ich ihm auch gerne glaubte. Wie er sagte, sei er dabei, seinen Haushalt aufzulösen und seine Habseligkeiten in Kisten zu verpacken. Seine Manuskripte hatte er schon früher in die Schweiz gebracht. Auch die Vorbereitungen für sein Abschiedskonzert bereiteten ihm Arbeit und nicht zuletzt die Reisedokumente, deren Besorgung ihm unendliche Behördenbesuche verursacht hatten.

Um Ungarn herum war bereits Krieg. So konnte ihn nichts davon abhalten, Ungarn in Richtung Amerika zu verlassen.


aus: Jenö Takács: Erinnerungen an Béla Bartók
© 1982 by Ludwig Doblinger (Bernhard Herzmansky) KG, Wien (Dobl. 09556)