»Hoffnungsfrohe Großzügigkeit«



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Jeder Komponist ist abhängig von seinen Interpreten. In hohem Maß gilt dies für Komponisten unserer Zeit. Wolfgang Rihm fordert seine Interpreten immer wieder heraus, ist ihnen aber auch ein genauer Zuhörer und Ermunterer – und diese danken es ihm.

Ich war stets voller Bewunderung für Wolfgang Rihm, für seinen unermüdlichen Drang, alle wie immer gearteten musikalischen, künstlerischen und menschlichen Aspekte des Lebens zu studieren, ja zu ergründen. Seitdem Luigi Nono mir vor vielen Jahren von einem jungen Komponisten von großem Talent erzählte, Wolfgang Rihm, begann ich mich, mit ihm auseinanderzusetzen und seine Musik aufzuführen. 1988 haben wir in Wien das Festival Wien Modern gegründet, wo die ersten Komponisten, die dort präsentiert wurden, Ligeti, Kurtág, Nono und Boulez waren. Ihnen zur Seite wurde auch der junge Komponist Wolfgang Rihm eingeladen. Seit damals bis zum heutigen Tag hatte ich das Glück, viele Uraufführungen seiner Werke dirigieren zu dürfen.
Claudio Abbado


Ich glaube, dass Rihm als Streichquartett-Komponist davon beeinflusst ist, für welches Quartett er schreibt. Ich habe Orchesterwerke gehört, die sehr klassisch ausgerichtet sind und die sich nicht anhören, als seien sie vom selben Komponisten. Ich erinnere mich an Mnemosyne für Sopran und Orchester, geschrieben für die Berliner Philharmoniker, das ist ein sehr klassisch orientiertes Werk. Ich denke, auch das Streichquartett Nr. 4, geschrieben für das Alban Berg Quartett, sowie das Streichquartett Nr. 9, das er für das Emerson Quartett schrieb. Sie sind klassischer als die, die er für uns geschrieben hat: lyrischer, mehr Obertonanteil. Das Arditti Quartet inspiriert Komponisten dazu, an die Grenzen ihres Ausdruckswillens zu gehen, er ist gewissermaßen nicht begrenzt durch technische Beschränkungen. Ich glaube, das gilt für die meisten Stücke, die Wolfgang für uns geschrieben hat. Es sind sehr dynamische, sehr schwierige Stücke. Das Streichquartett Nr. 5 ist ein sehr komplexes 25-minütiges, durchgehend vorantreibendes Werk, das ziemlich viel Energie erfordert, um es zu spielen. Ich denke, das Fünfte war ein Aufbruch für ihn.
Irvine Arditti


Ich erinnere mich noch genau an meine erste Begegnung mit Wolfgang Rihms musikalischer Poesie. Meine erste CD: Alban Bergs Violinkonzert und Wolfgang Rihms Gesungene Zeit mit Anne-Sophie Mutter. Damals noch eine von der Violine besessene Schülerin, war ich vom ersten Moment an verzaubert von Rihms Kunst. Dass ich ihn später einmal persönlich kennen lernen dürfte, ja, sogar Stücke von ihm uraufführen würde – das lag nicht im Bereich des Vorstellbaren. Im Sommer des Jahres 2004 hatte ich dann das große Glück, beim Festival »Alpenklassik« in Bad Reichenhall drei Hölderlin-Vertonungen von Wolfgang Rihm uraufzuführen und ihn auch persönlich zu treffen.

Ich empfinde es als ein großartiges Geschenk, Interpretin seiner Werke sein zu dürfen. Der Farbenreichtum seiner Musik ist schwer in Worte zu fassen. Wenn ich seine Werke singe, dann entstehen Klänge und Farben in mir, die ich von sphärisch, schimmernd, lichtdurchwebt bis hin zu blutrot, irden, warm, schmelzend, sinnlich und kraftvoll-körperlich bezeichnen würde. Seine Klangsprache übt auf mich eine direkte sinnliche Faszination aus, sie hat nichts Abstraktes an sich.

Und ich bin unsagbar dankbar für das Vertrauen, das Wolfgang Rihm bisher schon oft in mich setzte, seine Werke mit aus der Taufe zu heben, dankbar dafür, dass er sogar direkt für mich und meine Stimme schrieb, wie unter anderem Fremdes Licht (Bayerischer Rundfunk 2006), das Monodrama Proserpina (Schwetzingen 2009) oder die Opernphantasie Dionysos (Salzburger Festspiele 2010). Ich bin jedes Mal wieder aufs Neue überrascht und berührt, wie gut er meine stimmlichen Möglichkeiten kennt, wie passend seine Klangsprache zudem mit meiner Persönlichkeit harmoniert, ich meine Seele in seine Musik legen kann.

Gewiss, es ist immer wieder eine ungeheuer große Herausforderung, sich einer neuen Komposition Rihms anzunehmen und anzunähern – und es gab durchaus Momente, in denen ich nicht sicher war, ob es mir gelingen würde, seinen enormen Ansprüchen gerecht zu werden. In diesen Momenten war ich immer sehr dankbar, seine Warmherzigkeit und sein Vertrauen zu spüren, die er mir als Interpretin entgegenbrachte, seinen Optimismus und sein Wohlwollen, die mir neue Energie, neues Zutrauen und Kraft verliehen.

Lieber Wolfgang, ich wünsche Dir von ganzem Herzen alles erdenklich Gute zu Deinem sechzigsten Geburtstag. Ich wünsche Dir und uns allen, dass Du der Welt in Gestalt Deines warmherzigen Wesens und Deiner phantastischen Kunst noch mindestens so lange das Leben beseelen mögest.
Mojca Erdmann


Alles, was er schreibt, ist seine Biografie. In diesem Sinne ist er ganz in der Tradition von Schönberg. Es ist immer Autobiografie.

Er schreibt für den Interpreten, für den er schreibt. Ich kann mich gut erinnern, als ich das Cellokonzert Styx und Lethe uraufgeführt habe. Er hat mir in einem Restaurant in Basel die Noten gegeben, und meine Frau sagt, ich sei ganz blass geworden. Ich habe gesagt: »Wolfgang, vergiss es, das geht nicht, es ist unmöglich. Das ganze Stück durch sind nur schnelle Noten, Sechzehntel, fortissimo, fast alles im untersten Register. Du hast nach zehn Minuten das Gefühl, dein Arm fällt ab.« Und er sagte: »Nein, nein, das schaffst du schon.« Wolfgang hat das Gefühl: »Für ihn will ich das schreiben.« Gesungene Zeit ist etwa ein Stück für Anne-Sophie Mutter. Und das war bei vielen Stücken so. 
Lucas Fels


An mein erstes Treffen mit Wolfgang Rihm erinnere ich mich sehr gut. Es war 2002 in der Orangerie in Darmstadt. Das ensemble recherche führte dort sein Werk Musik für drei Streicher auf. (Die Aufführung von Melise, Barbara und Lucas war einfach unvergesslich – bemerkenswert in seiner exemplarischen Balance zwischen Präzision und reichem Ausdruck.) Noch im Taumel des Stücks und der Aufführung, fragte ich Wolfgang (die idiotische Frage): »Wie hast du das gemacht in solch zartem Alter?« Er zuckte mit den Achseln und schien ebenso verwirrt zu sein.

Er erinnerte mich an einen Kapitän, der auf die vielen Bilder und Formen blickt, die das Kielwasser seines Schiffes hinter ihm bilden. Mit Neugierde und Distanz, die aus seiner Weitgereistheit rühren.

Diese Art von Distanz zum Resultat seines tiefsten Inneren manifestiert sich in anderer, kritischerer Form. In der Probe zur Aufführung seines Stückes Sotto Voce II – das Wolfgang für den Busoni Wettbewerb geschrieben hat und bei welchem ich die Ehre hatte, es zur Uraufführung zu bringen – bewies er eine exemplarische Verbindung von Komponist und Aufführendem gleichermaßen.

Irgendwann wandte sich der Dirigent zu Wolfgang und fragte ihn (im übertragenen und im wörtlichen Sinn über meinen Kopf hinweg), ob es mir erlaubt sei, eine bestimmte Phrase so zu spielen wie ich es möchte? Ohne zu zögern, antwortete er: »Er ist der Interpret, er kann tun, was er will.« Diese Geste war unglaublich wichtig für mich: Er drückte damit sein Vertrauen in mich und seine Neugier, was ich daraus machen würde, aus.

Sein Vertrauen in die Ausführenden ist ein Zeichen von Weisheit: Es ermöglicht ihm, dem Prozess zu folgen, wenn er seine Musik in der Aufführung erlebt. Gemeinsam mit den Interpreten. Dadurch wird die Zusammenarbeit mit ihm zu einer ganz speziellen, erquickenden Erfahrung. Happy Birthday, lieber Wolfgang, und danke für deine Gesellschaft, deine Freundschaft – und nun nach allem ist es auch an der Zeit, danke zu sagen – für deine wunderbare Musik.
Nicolas Hodges


Ich schätze mich überglücklich, dass ich bereits drei Werke von Wolfgang Rihm uraufführen durfte: Gesungene Zeit (1992), Lichtes Spiel (2010) und seine Dyade für ­Violine und Kontrabass (2011). Dieses Glück wird allerdings insbesondere in der Phase der Erarbeitung seiner Kompositionen von heftigsten Selbstzweifeln begleitet, stellt sich mir doch angesichts seines schier übermächtigen Esprits und Charmes kontinuierlich die Frage: »Wie kann ich nur vor ihm und seinem Werk bestehen?«

Wolfgang Rihms einzigartige Poesie, diese schwere­lose Transparenz seiner himmlischen Harmonien – ja seine absolut schrankenlose Phantasie im Umgang mit den tradierten Möglichkeiten der Geige: Er hebt bis dato als ehern geltende Gesetze scheinbar mühelos aus den Angeln. Auf den Punkt gebracht: Er entdeckt jedes Mal die Geige neu und verschiebt ihre Limitierungen mit jedem Werk, das er für mein Instrument schreibt.

Als Interpretin fühle ich mich Wolfgang Rihm nicht nur für seine großartigen Werke zu tiefstem Dank ­verpflichtet – sondern ganz besonders auch für seine geduldige und hoffnungsfrohe Großzügigkeit im Umgang mit uns normal sterblichen Interpreten.

Ich wünsche dem von mir unendlich geschätzten Wolfgang Rihm alles Liebe zu seinem 60. Geburtstag – und mir, dass ich ihm noch möglichst oft als Geburts­helferin zur Seite stehen darf.
Anne-Sophie Mutter


Ich kann mich gar nicht daran erinnern, wann ich seinen Namen das erste Mal gehört habe. War es, als mein Vater Die Hamletmaschine inszenierte? Oder in den Erzählungen meines verstorbenen Freundes Richard Salter, für den Wolfgang so manche Hauptrolle komponiert hatte? 2009 gab es auch eine Uraufführung – zu Claudio Abbados 75. Geburtstag in Berlin: Mnemosyne – ein Werk aus Kristall, gleichermaßen subtil wie emotional, regelmäßig im Metrum und doch verschwimmen die Taktstriche wie Sonnenstrahlen auf dem Wasserspiegel. Die Sopranpartie übernahm ich mit großer Freude. Bei den Proben in der Philharmonie traf ich das erste Mal auf »Herrn Rihm« und es war sofort klar: Ein Genie kann gleichzeitig ein Mensch sein – und was für ein wunderbarer!
Anna Prohaska


Wolfgang Rihm und die Klarinette: Dass durch unser beider Zusammenkunft 1998 in der Folge an die zehn (genau habe ich nicht mitgezählt) umfangreiche Klarinetten-Werke für mich entstehen würden, konnten wir damals beide nicht wissen. Wolfgang Rihm war mein Lehrer und heute verbindet uns eine herzliche Freundschaft. Doch unsere Verbindung als Komponist und Interpret ist in der Tat außergewöhnlich. Die Stücke sind es auch.

Ehrlich gesagt: Im Sommer 1999, als die Partitur der Musik für Klarinette und Orchester (Über die Linie II) in meinen Briefkasten geflattert kam und ich sie neugierig durchsah, war ich zunächst schockiert: ein 40 Minuten fast ununterbrochener Gesang durch alle, auch die höchsten stratosphärischen Register. So hatte noch nie jemand für Klarinette geschrieben. Aber: Wie sollte ich das jemals spielen können? Ich hörte sofort mit dem Rauchen auf (leider fing ich am Abend der UA wieder damit an). Eine Art sportlicher Vorbereitung war vonnöten, um diesen extremen Anforderungen an Kondition, Kraft, Kontrolle gerecht werden zu können. Ich liebte das Stück sofort. Der einzige Komponist, der ähnlich gesanglich, fast unter Ausschluss virtuosen Laufwerks schreibt und die »Virtuosität bis zu Unspielbarkeit zurückschraubt« (Rihm), ist Johannes Brahms. Purer Klang, reiner Gesang ohne schmückendes Beiwerk. Und ähnlich schwer zu spielen. Oder Robert Schumann, der in den Fantasiestücken op. 73 ohne Rücksicht auf Atemdisposition und Herzfrequenz des Spielers drei Gesangssätze attacca aufeinander folgen lässt. Das Rihmsche Klarinettenkonzert konditionell als gleichsam 3 x 3 Fantasiestücke!

In der Entwicklung der Rihmschen Klarinettenmusik der letzten 12 Jahre spüre ich, wie genau er mir zugehört hat. Nein, nicht meinen spieltechnischen Kommentaren (statt der Änderung einer unmöglichen Glissando-Stelle fand ich meinen scherzhaften telefonischen Kommentar »NOTFALLS mit Stimme nachhelfen« in der UE-Druckausgabe wieder…) – sondern meinem Spiel selbst.

Diese Fähigkeit und Sensibilität, sich immer wieder lustvoll auf das Wechselspiel mit einem Interpreten einzulassen, ihn und sich selbst immer wieder neu zu fordern, um zu neuen Ausdruckswelten, Farben und Klängen zu kommen, hat hier aufs Schönste zur Entstehung seiner Klarinetten-Kompositionen geführt. Ich hoffe und wünsche und bin überzeugt: Sie werden bleiben.
Jörg Widmann


Die Langfassung der Texte finden Sie unter www.universaledition.com/rihms-interpreten