„Ich verstehe mein Handwerk als Inspiration“

Interview von Tobias Niederschlag


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© Mateo Taibon
„In Solostücken kann ich Dinge prüfen und neu ausrichten.“ Johannes Maria Staud

Johannes Maria Staud ist in dieser Saison „Capell-Compositeur“ der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Ein Titel, der mit drei Uraufführungen verbunden ist. Im Gespräch gibt Staud Einblick in seine Arbeitsweise und sein kompositorisches Selbstverständnis.

Was bedeutet Ihnen die Berufung zum „Capell-Compositeur“?

Staud: Es ist zunächst einmal eine große Auszeichnung. Die Sächsische Staatskapelle und die Semperoper sind Institutionen, die die Musikgeschichte geprägt haben. Besonders gefällt mir aber auch die Möglichkeit, drei Stücke in unterschiedlicher Besetzung für diesen Klangkörper zu schreiben. Das ist sehr ungewöhnlich und gibt mir die Möglichkeit, mich in verschiedenen Dingen auszuprobieren.

Sie schreiben inzwischen Werke für die Berliner und Wiener Philharmoniker, das Cleveland Orchestra oder eben die Dresdner Staatskapelle. Warum sind Sie so schnell ganz oben angekommen?

Staud: Eine wirkliche Erklärung dafür habe ich natürlich nicht. Vielleicht bringt meine Musik eine handwerkliche Komponente mit sich, die es Dirigenten bzw. Interpreten ermöglicht, schnell in einen Klangkosmos einzutreten. Das Handwerk spielt für mich eine sehr wichtige Rolle. Ich verstehe es auch als Inspiration bei der Erfindung neuer Klänge.

Können Sie bei Kompositionsaufträgen für Künstler wie Daniel Barenboim oder Sir Simon Rattle überhaupt noch Dinge ausprobieren?

Staud: Das gehört für mich immer dazu! Schlimmer finde ich die Gefahr der Berufsroutine. Um ihr zu entgehen, versuche ich in jedem Stück etwas Neues auszuprobieren. Dabei kann der Auftragsdruck manchmal auch hilfreich sein.

Christoph Eschenbach wird Ihr neues Orchesterwerk Tondo mit der Sächsischen Staatskapelle in der Dresdner Semperoper zur Uraufführung bringen und anschließend auch im Wiener Musikverein dirigieren. Was hat Sie bei dieser Komposition inspiriert?

Staud: Vor allem der besondere Klang der Sächsischen Staatskapelle, der sehr warm und in der Mitte sehr voll ist. Es ist ein „romantischer“ Klang, den ich in diesem Werk um die Farbe der vier Hörner gruppiert habe. Der Titel Tondo, „rund“, verweist dabei auf die Schlangenform des Werkes: Der Anfang ist gleichzeitig auch das Ende, man könnte es also endlos spielen. Die Besetzung ist relativ klassisch, und es hat mich besonders gereizt, für diesen Apparat klanglich etwas zu erfinden, das ich so noch nie gemacht habe.

Der Titel „Tondo“ verweist auf die Schlangenform des Werkes.

Für Dresden schreiben Sie auch ein Monodram, das mit einem Ensemble der Staatskapelle und Bruno Ganz als Sprecher uraufgeführt wird. Was hat es damit auf sich?

Staud: Es ist eine erneute Zusammenarbeit mit Durs Grünbein, der ja bereits den Text für meine Oper Berenice geschrieben hat. Ich knüpfe dabei an Fragen an, die ich für mich noch nicht endgültig gelöst habe. Vor allem: Was passiert, wenn ein Sprecher oder ein Schauspieler spricht und Musik ihn begleitet? Man kommt dann schnell auf das Thema Monodram, das ja von Arnold Schönberg wesentlich geprägt wurde. Mit Durs Grünbein, einem gebürtigen Dresdner, habe ich mich auf seinen Text
„Nach den Satiren“ verständigt, aus dem ich größere Teile extrahiert und in fünf Bildern zusammengestellt habe.

Es ist der innere Monolog eines Menschen, der durch eine Stadt geht und geschichtliche Beziehungslinien sieht. Es geht um verdrängte Schuld und das Beobachten verdrängter Zeichen – Zeichen der Diktatur und der Unterdrückung im Kontext des großstädtischen Lebens – und darum, wie es möglich ist, als Mensch trotzdem weiterzumachen und ein individuelles Leben zu führen. Das ist ein spannendes Thema, und wir versuchen eine Verbindung von Monolog und musikalischem Monodram zu finden, mit vielen verschiedenen Mischformen.

Für den Solofagottisten der Sächsischen Staatskapelle, Joachim Hans, haben Sie ein Solostück mit dem Titel Celluloid geschrieben. Wie kam es zu dem Titel?

Staud: Dafür gibt es eigentlich zwei Gründe. Zum einen ist das Fagott meiner Meinung nach ein etwas unterschätztes Instrument. Erst seit wenigen Jahren, spätestens seit Luciano Berios Sequenza, scheint sich das etwas zu ändern. Das empfand ich ganz ähnlich wie bei den alten Celluloid-Bändern, die im heutigen Zeitalter der Digitalisierung leider kaum mehr gespielt werden … Zum anderen habe ich mich aber auch durch ein Gedicht von Rolf Dieter Brinkmann anregen lassen, der darin von der „endlosen Ausdehnung von Celluloid“ spricht.

Letztendlich sind die Solostücke in meiner bisherigen Entwicklung immer fokussierende Stücke gewesen, in denen ich Dinge prüfen und neu ausrichten konnte. Deshalb bin ich der Staatskapelle für diesen Auftrag besonders dankbar.

Welche Pläne gibt es für die Zeit nach dem Dresdner „Capell-Compositeur“?

Staud: Es kommen ein paar spannende Aufgaben auf mich zu, auf die ich mich sehr freue. Ich werde zum Beispiel ein neues Stück für Mariss Jansons und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks komponieren; geplant ist auch ein größeres Stück für Schauspieler, Vokalensemble und Elektronik für das Festival Agora in Paris. Und dann gibt es natürlich die Pläne zu einer neuen Oper mit Durs Grünbein. Dafür wird das Monodram, auch wenn es sich thematisch vom Opernstoff völlig unterscheiden wird, sicher ein wichtiger Ausgangspunkt sein.

Interview: Tobias Niederschlag, Dramaturg der Sächsischen Staatskapelle Dresden


Uraufführungen

Celluloid
für Fagott solo Solist: Joachim Hans 07.06.2011 Semperoper Dresden

Tondo
Preludio für Orchester Sächsische Staatskapelle Dresden Dirigent: Christoph Eschenbach 1., 2., 3. Mai 2011 Semperoper Dresden

Die Auflösung des Murmelspiels  
für Ensemble und Sprecher Sächsische Staatskapelle Dresden Sprecher: Bruno Ganz Dirigent: Asher Fisch 4., 5. Juni 2011 Die Gläserne Manufaktur von Volkswagen; Dresden www.staatskapelle-dresden.de