»Im Zentrum des Geigenspiels«

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Wie sind Sie mit dem Violinkonzert von Kurt Weill in Berührung gekommen?

Schmid: Ich bin mit dem Stück zum ersten Mal in Berührung gekommen in einer Aufführung meines Lehrers Ernst Kovacic, der es des Öfteren gespielt hat. Ich war natürlich sehr interessiert an diesem Namen, den ich aus den Brechtschen Opern kannte, und von den Liedern, die ich immer sehr verehrt habe und die ja zum Teil sogar auch im Jazz ihren Eingang finden. Immer wieder treffe ich Jazzmusiker die über Weill improvisieren, weil das Liedkunst auf allerhöchstem Niveau ist.

... ein Angelpunkt zwischen traditionellem Material und neuen Sichtweisen

Ja, und dann habe ich dieses Stück gelernt, das ich inzwischen zu meinen allerliebsten Violinkonzerten zähle, weil es anspruchsvolle Musik ist. Die Form ist anspruchsvoll, es ist ein langes Konzert, wirklich etwas zum aktiven Zuhören eines aktiven Musikhörers der fassliche Musik doch intellektuell dargestellt serviert bekommt. Es ist dieser Angelpunkt zwischen traditionellem Material und neuen Sichtweisen – ich sage jetzt einmal Harmonik im ersten und im letzten Satz – die hier aufeinanderstoßen, und die für mich immer so viel Interessantes bedeuten. Wenn wir die Form des Stückes anschauen, dann ist es ungewöhnlich, es ist eigentlich ungewöhnlich lang. Dann diese zwei relativ abstrakten Ecksätze, die auch wesentlich länger sind, und dann der sogenannte Mittelsatz.

Diese Innensätze, die haben es mir natürlich besonders angetan, weil sie sehr prägnant rhythmisch formuliert sind. Wenn wir jetzt an das Notturno denken: die Idee, zwei großräumige Xylophon-Solos einzubauen, das zum Hauptinstrument des Satzes zu machen, und die Geige darf eigentlich dann das Xylophon imitieren, da muss natürlich die Phantasie eines Geigers sehr weit gehen, und das ist gut so. Diese rhythmische Prägnanz reizt mich unheimlich, daneben gibt es dann auch eine Schmusestelle in der Mitte, die einem kantabel-mäßig alles abfordert, oder bei der man als Geiger alles zeigen kann. Dieses Notturno ist natürlich gerade um die Ecke von Stravinskys L‘Histoire du soldat, auch wenn wir den Schluss betrachten, wo der Kontrabass alleine aufhören darf. Da gibt es Parallelen, die sind aber wunderbar und auch nur angedeutet. Da kann ja höchstens von einer Inspiration, aber sicher nicht von einer Kopiererei die Rede sein.

Dann diese hochvirtuose Kadenz, bei der man als Solist fast im Bartókschen Sinn abstrakt zupacken kann, im Akkordwerk, in Figurationen, in Ligaturen und fantastischen Espressivos. Das ist richtig virtuoses Zeug, das schließt dann mit dieser schon genannten Stretta, die unglaublich abschnurrt, und als Belohnung gibt es dann diese Serenata, wo der Weill einen wunderbaren Bläsersatz als Begleitung findet, es hat am Anfang fast einen tangoartigen Touch. Die Geige darf sich dann einfach da drüber legen – natürlich ein Lieblingssatz von mir, der einfach nur wunderschön und pur ist, ohne jemals kitschig oder sentimental zu werden. Das ist ja etwas das uns in Weills Liedern immer begegnet, diese Größe. Deswegen zähle ich es zur ganz hohen Kunst, weil hier Berührendes auf sehr ehrliche Art geschrieben wird, und er kommt aber auch nie nur in die Nähe eines Kitsches.

An Kantabilität ist das Konzert kaum zu überbieten.

Wie ich erfahre, und wie ich lese, hat sich Weill damals auch sehr für die Dodekaphonie interessiert und damit experimentiert, das war für ihn ganz wichtig, er war ja erst 25 Jahre alt. Das manifestiert sich ganz eindeutig in diesen Ecksätzen, da braucht man eine Zeit lang bis man da Ordnung findet. Aber auch hier ist der Anfang wieder wunderbar kantabel. An Kantabilität ist das Konzert ja kaum zu überbieten, das geht also in das Zentrum des Geigenspiels hinein, nämlich in das Verbinden von zwei Tönen, und darauf kommt es in diesem Konzert an den meisten Stellen unglaublich an. Ich würde es als sehr geigerisches Konzert bezeichnen. Auch wie er vom ersten Satz in die Coda kommt, da ist eine Überleitung aus dem ganz höhepunktmäßigen Tutti, wo es in den Bläsern drunter und drüber geht, und die Geige findet in einer Kadenz aus diesem Tumult heraus und leitet in das Cantabile über, was für mich eigentlich schon die Coda darstellt – unglaublich schön.

Im letzten Satz gibt es auch noch so eine Lieblingsstelle: ich habe einfach eine Schwäche für pure Schönheit. Und zwar auch wieder vor dem Schlussteil, wo so fast postmoderne Stimmungen erzeugt werden, wo die Begleitung in den Bläsern nur zwischen zwei Tönen hin und her wackeln darf, und der Solist spinnt da seine relativ simplen Gedanken drüber, das ist für mich prophetisch postmodern, beziehungsweise höre ich da einen Pat Metheny heraus, und so weiter und so fort. Also hochinteressant, bevor es dann am Schluss wieder wirklich virtuos zur Sache geht, wo er sich speedmäßig auch ordentlich steigert und in diesem Tarantella-artigen letzten Satz kein Auge trocken bleibt – der mich übrigens in vieler Art auch wieder an den letzten Satz bei Bernstein erinnert, der allerdings später geschrieben ist. Da gibt es sehr interessante Parallelen. Da kann man die Größen ihrer Zeit immer wieder parallel durchleuchten.

Gerade deswegen spiele ich Geige: weil ich denke, dass die Geige zwei Töne schöner verbinden kann, als jedes andere Instrument.

Wie geigerisch ist der Solopart?

Schmid: Der Solopart des Weillschen Violinkonzerts ist extrem geigerisch. Zuallererst, wie schon zuvor angedeutet, diese Kantabilität, die sich an den meisten Stellen des Konzerts offenbart, sei es der Anfang oder der Schlussteil des ersten Satzes, oder die Serenata, oder der Mittelteil aus dem Notturno, oder dieses unglaubliche Interlude vor der Coda im letzten Satz. Das sind Dinge, bei denen man die höchste Tonverbindungskunst zeigen kann und zeigen muss. Da muss man eine ganz, ganz elegante Bogenführung beherrschen. Geradedeswegen spiele ich Geige: weil ich denke, dass die Geige zwei Töne schöner verbinden kann, als jedes andere Instrument.

Jetzt sind Sie auch Jazzer. Hat das geholfen, den Stil beziehungsweise den Tonfall von Weill zu treffen?

Schmid: Ich würde das jetzt erst einmal verneinen. Für mich ist es ein in der Realisation sehr klassisches Violinkonzert, es hat auch keinen Improvisationsteil drinnen. Es gibt so viele Anlehnungen und Anknüpfungspunkte aus der Tradition, die Material in diesem Violinkonzert sind, dass man einfach als sehr guter klassischer Geiger an dieses Konzert herangehen soll.


Interview: Wolfgang Schaufler
Wien, August 2013
(c) Universal Edition