Jos. B. Foerster

Prof. K. B. Jirák


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Josef Bohuslav Foerster

Zu seinem 70. Geburtstag

Am 30. Dezember 1929 feiert der tschechische Komponist Jos. B. Foerster, seinen 70. Geburtstag. Er ist nach dem Tode Janáčeks der Nestor der tschechischen Komponisten und sein Jubiläum wird in großzügiger Weise gefeiert. Seit November werden fast täglich Konzerte mit seinen Werken veranstaltet (manchmal sogar zwei an einem Abend), das Nationaltheater bereitet einen Zyklus seiner Opern vor. Eine eigens dazu gegründete „Foerster-Gesellschaft“ sorgt für die Herausgabe seiner zahlreichen, alten und neuen Werken, ein reichhaltiges Gedenkbuch erscheint (im Verlag „Melantrich“, redigiert von Artur Rektorys) – alles ein Beweis, dass es sich um eine wichtige und verdienstvolle Erscheinung der tschechischen Musik handelt.

Wenn schon der Name Janáčeks berührt wurde, der im vorigen Jahre als 74jähriger Jüngling unerwartet und immer noch vorzeitig dahingerafft worden ist – so kann man sich kaum einen größeren Kontrast vorstellen, als den zwischen diesen beiden Meistern. Bei Janáček brutale, naturalistische Vitalität, bei Foerster ein kultivierter, gleichsam mit Religiosität und Eleganz durchgesetzter Formalismus, – bei Janáček ein eruptiver, später Ausbruch des schöpferischen Wahnsinns nach langen Jahren erfolglosen Tastens, bei Foerster ein gleichmäßiges Wachsen und Reifen des von Anfang an gediegenen, feinen Musikers. […]

Von seinem Vater lernt der junge Foerster (er nennt sich damals noch Josef Foerster junior) nicht nur das musikalische Métier, sondern auch die hohe Auffassung der Kunst. […] Als er das Studium an der technischen Hochschule, zu dem er bestimmt war, endgültig aufgibt, wird er Nachfolger von Dvořák am Orgelpult der St. Adalbert-Kirche, im J. 1889, als dreißigjähriger, wird der sogar Regenschori bei den Franziskanern. Dabei komponiert er aber schon fleißig, im Jahre 1886 kommt schon seine erste Symphonie, im Jahre 1891 seine erste Oper Deborah zur Aufführung. In dieser Zeit wird der belesene, kultivierte junge Musiker Kritiker an den Národní listy (1884–1893), wo er sich große Verdienste um alles Moderne und Fortschrittliche erwirbt. Im J. 1888 heiratet Foerster die jugendliche Sängerin des Nationaltheaters Berta Lauterer. Diese Ehe bestimmt seinen weiteren Lebenslauf. Er folgt ihr 1893 nach Hamburg, als sie an das dortige Statttheater engagiert wird. Dort wird er Konservatoriumslehrer und wieder Musikreferent (zuletzt an den Hamburger Nachrichten). Der Hamburger Aufenthalt bringt ihm die Freundschaft Gustav Mahlers, der seine III. Symphonie zum ersten Mal dirigiert. In Hamburg setzt eigentlich die grosse, reife kompositorische Tätigkeit Foersters ein. Dort wird auch seine erfolgreichste Oper, Eva geschrieben, desgleichen auch die folgende Jessika. Im J. 1903 folgt Foerster seiner Frau weiter nach Wien, wo sie von Mahler engagiert wurde und bleibt dort bis zum Umsturz. Erst im J. 1919 kommt er wieder – nach 25-jährigem Fernsein nach Prag zurück, wird Professor am neuorganisierten Staatskonservatorium (ab 1923 Meisterschulprofessor), und wird in seinem Jubiläumsjahr zum dritten Male Rektor dieser Anstalt. Außerdem wirkt er als Lektor der Musik an der Karls-Universität, die ihm zu seinem 70. Geburtstag den Doktortitel honoris causa verleiht – als dem ersten Musiker nach Dvořák.

Die künstlerische Ernte dieses reichen Lebens ist außerordentlich umfangreich, sie umfaßt nahezu 150 Opuszahlen. Die Foerster-Biographen unterscheiden drei Perioden in seinem Schaffen. Die erste, vorbereitende Periode reicht bis zum Ende des ersten Prager Aufenthaltes (1893). Im Anfang hat Foersters Musik in dieser Periode weinig Selbstständigkeit. Das Beispiel Smetanas und Dvořáks wirkt auf ihn sehr stark, daneben kann man auch Einflüsse der auswärtigen Musik beobachten: Grieg und Tschaikowsky stehen manchen der Werke dieser Zeit Paten. Erst allmählich klärt e sich Foersters Individualität, am meisten in den zwei ersten Symphonien, in der Oper Deborah und im Stabat mater.

Die zweite Periode ist die Hamburger. Da ragt vor allem die Oper Eva hervor, das erste tschechische Bauerndrama in der Musik. Das Libretto stammt von der gleichen Schriftstellerin wie das der Jenůfa und ist demselben Milieu entnommen. Doch was für ein Unterschied zwischen der Auffassung Janáčeks und Foersters! Bei Foerster fast kein Spur vom Folklore, da realistische Drama ist vergeistig und erhebt sich zum Schluss zu einer fast mystischen Erhabenheit. Es bleibt auch heute eines der wichtigsten Werke der tschechischen Oper. Foerster wird oft irrtümlich als Nur-Lyriker betrachtet. Sein Lyrismus ist wohl eines seiner hervorstechendsten Merkmale, aber seine Lyrik ist immer eng mit dem Leben verknüpft, deshalb kann er in entscheidenden Momenten ein starker Dramatiker sein – das beweisen seine Opern auf Schritt und Tritt. Auch sein vielzitierter Mystizismus verliert niemals die Verbindung mit dem Leben dieser Erde. Foerster ist nicht ein Mystiker im Sinne Březinas, der von weiten Gestirnen nur zufällig diese Welt berührt, im Gegenteil, er wird immer vom Leben inspiriert, zu dem er stets ein bejahendes Verhältnis hat. So ist auch Foersters Religiosität zu verstehen, zwar nicht die volkstümliche Religiosität eines Dvořák, aber auch kein absolutes Entrücken in lebensfremde Sphären. Foersters Gott und Engel tragen immer menschliche Gestalten und der Künstler spricht zu ihnen in menschlich vertrauter Weise.

In Hamburg entstanden außer der erwähnten III. Symphonie und der Jessika eine Unmenge von Liedern (im ganzen hat Foerster über 300 gedruckter Lieder, mit den unveröffentlichten sind es vielleicht an 1000, wer kann es zählen?), dann Chöre, hauptsächlich Männerchöre, die eine außerordentliche Wichtigkeit für die Entwicklung des tschechischen Chorgesanges haben. […]

Nach der Hamburger kommt die Wiener Periode. Die Persönlichkeit Foersters vertieft sich immer mehr, der hymnische Lobgesang an Gott und an die Liebe, der er singt, wird immer innerlicher und weicher. Es kommt jetzt die vierte Symphonie an die Reihe, die grandioseste, eine Verherrlichung des Osterwunders. In der Oper sind es Die Unüberwundenen, eine lyrische Kammeroper von unendlicher Sehnsucht. Ein Werk folgt dem andern: Lieder, Kammermusik, symphonische Dichtungen – dabei wird Foerster wieder Zeitungsreferent (in der Zeit). […] Endlich kommt die ersehnte Rückkehr nach Prag. Sie bringt dem inzwischen 60jähringe Komponisten neue Anerkennung, aber auch schwere Schicksalsschlage. Sein junger Sohn stirbt, und dieser Tod gibt dem ganzen Schaffen Foersters der letzten Jahre eine ereigne Physiognomie. Seine Musik verschließt sich aber nicht einmal technisch den neuen Anschauungen, die die Nachkriegszeit bringt. Sie wird natürlich nicht atonal, das widerspräche der innerlichsten Natur Foersters, aber sie wendet sich vom überwiegend konsonanten Typus zum dissonanten. […]

Neben dem Komponisten Foerster sei nicht der Dichter und Essayist vergessen. Seine letzten zwei Opern sind auch im Text von ihm gedichtet (die Eva hat er wenigstens selbst in Verse gesetzt). Aber Foerster ist auch ein feiner Kenner der gesamten Kunst und Literatur. Seine gesammelten Essays und seine neuerscheinenden Memoiren gehören zum Wertvollsten der tschechischen Literatur.

Ein reiches Leben, ein volles Leben. Foersters Bedeutung in der tschechischen Musik ist die eines Vermittlers zwischen der heroischen Generation der Smetana, Dvořák und Fibich und der heutigen Moderne. Die Wurzeln Foersters stehen fest in jener klassischen Periode, seine weitere Entwicklung brachte aber der hiesigen Musik ganz neue Impulse, die erst heute recht fühlbar werden, als sein Werk immer mehr und mehr Gemeingut des gesamten Volkes wird. Diese Erkenntnis wird immer allgemeiner, und aus ihr ergibt sich der breite Widerhall seines Künstler- und Lebensjubiläums.


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Prof. K. B. Jirák
Der Auftakt, Musikblätter für die tschechoslowakische Republik,
1929, Jg.9, Heft 12, s. 305–308