Linda Keprtová über Foersters Eva

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Wir befinden uns hier im Zuschauerraum des Nationaltheaters in Prag, wo im Jahr 1899 die Uraufführung von Eva stattfand. Jahrzehntelang wurde die Oper regelmäßig aufgeführt, aber inzwischen ist sie gänzlich aus dem Repertoire der tschechischen und slowakischen Theater verschwunden. Was genau verbirgt sich hinter der Wiederentdeckung der Oper Eva durch das Theater F. X. Šalda in Liberec?

Keprtová: Die Wiederentdeckung der Oper Eva in Liberec ist mehr oder weniger einem Zufall zu verdanken. Vor zweieinhalb Jahren habe ich in Liberec an Jules Massenets Oper Don Quichotte gearbeitet, mit Martin Doubravský, dem Leiter der Oper, der die Oper dirigiert hat und mir eine weitere Zusammenarbeit anbot. Wir kannten uns schon sehr gut, und er ließ mir freie Hand bei der Auswahl, welches Stück ich inszenieren wollte, welches Thema mich fesselte und was ich interessant fand.

Ich kannte Eva nur als Eintrag im Lexikon, aber nicht im Detail. Ich hatte die Musik noch nie gehört, da war ich mir sicher. Doch eines Tages spazierte ich den Hügel von Liberec hinauf, und plötzlich war die Vorstellung von Gazdina roba und Eva in meinem Kopf. Da ich die Oper nur aus Büchern kannte, begann ich nach Material zu suchen und machte mich und Martin Doubravský mit der Oper vertraut.

Wir hatten auch Glück, weil 2014 das Jahr der tschechischen Musik war. So konnten wir uns auf jene tschechischen Werke konzentrieren, die nicht so häufig inszeniert wurden. In unsere Überlegungen bezogen wir auch die Oper Debora mit ein ebenso wie andere Werke. Aber im Lauf der Recherche verliebte ich mich in Eva, ich hielt an ihr fest und wollte sie nicht mehr hergeben.

Was kann Eva dem heutigen Regisseur bieten?

Keprtová: Das Potenzial der Charaktere. Es hat sich wohl über die Jahre nichts verändert, denn die beschriebenen Beziehungen funktionieren sowohl in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als auch im 21. Jahrhundert. Jeder von uns könnte zu einem bestimmten Moment seines Lebens Eva oder Mánek oder auch Samko sein. In meinem eigenen Leben war ich ganz bestimmt schon Eva und Mánek, auch Samko. Mit diesem Prinzip ist klar vorgegeben, was die Oper einem Regisseur bieten kann.

Foersters musikalische Umsetzung ist sehr inspirierend. Nachdem ich mir die Musik unzählige Male angehört hatte – auch später während der Proben, als ich dachte, ich kenne sie wirklich gut – fand ich immer noch Sachen, über die ich nie nachgedacht hatte. Diese Art, wie Foerster einige Sätze, wie er Ideen, Schmerzen, Sorgen und Freuden vertont hat – auf eine ganz andere Art und Weise, als man es erwarten würde.

Darin liegt auch Foersters Weisheit oder eine Art abgehobene Betrachtung der Gegebenheiten. Da ist zum Beispiel die Stelle, als Eva beschließt, ihren Mann für Mánek, ihre Liebe, zu verlassen und zu Zuzka, dem Hausmädchen, sagt: »Ich werde zu den Mešjanýs gehen, ich habe mich dazu entschlossen«. Diese Situation kann auf unterschiedliche Weise interpretiert werden: wir würden vermuten, sie sei glücklich, weil sie die Entscheidung getroffen hat und sie eine schönere Zukunft erwartet. Aber Foerster vertonte das mit einer so ruhigen und schmerzlichen Musik, die ich für sehr weise halte: auch wenn sie weggeht, um ein neues Leben mit ihrer Liebe zu beginnen, hinterlässt sie Trauer und baut ihr Glück auf dem Unglück eines anderen Menschen auf. Es ist sehr geschickt, wie Foerster dem Charakter und der Handlung nachspürte.

Ich habe mich wirklich in Eva verliebt, ich hielt an ihr fest und wollte sie nicht mehr hergeben.

Die Charaktere, die Foerster in Eva zeichnete, reagieren immer in natürlicher Weise aufeinander. Es liegt kein oberflächlicher Glanz in ihrem Verhalten. Aufrichtigkeit, Reinheit und Nacktheit sind ihre typischen Merkmale. Gefällt Ihnen diese Glaubhaftigkeit in Eva?

Keprtová: Ja! Foerster bewies in Eva, dass nichts schwarz und weiß ist, und unsere Beweggründe manchmal viel einfacher oder sehr viel komplizierter sein können, als es auf den ersten Blick scheint.

Für Eva bestand mein Ehrgeiz darin, zu erreichen, dass das Publikum die Existenz eines Regisseurs nicht einmal bemerken sollte und das Gefühl bekommt, die Charaktere würden auf ganz natürliche Weise aufeinander reagieren. Diese Interaktionen sollten wie selbstverständlich sein, direkt aus dem Leben kommen und die Grenzen zwischen Theater und Leben verblassen lassen. Die von allen demonstrierte Nüchternheit ist für mich das Außerordentliche an dieser Oper. Wir haben uns daran gewöhnt, in der Oper alles zu verschönern und zu kolorieren. Einige Werke bieten dafür geradezu an, aber was ich an Eva so verlockend fand, war die Aussicht, tief in eine Art von Aufrichtigkeit einzutauchen, ganz ohne Hilfsmittel. Das Einzige, was man dazu benötigt, ist ein Gegenüber, das bereit zu einer solchen Zusammenarbeit ist.

Verlangsamt das gereimte Libretto die Dramatik der Geschichte nicht?

Keprtová: Natürlich kann man aus heutiger Sicht einige nette Unvollkommenheiten im Libretto ausmachen, aber wir dürfen nicht außer Acht lassen, dass wir alles aus der Sicht eines Menschen des 21. Jahrhunderts betrachten, der viel mehr Lyrik, moderne Lyrik, als Foerster gelesen hat. Außerdem haben wir eben auch Janáčeks Jenůfa oder Katja Kabanowa vor Augen. Aber Foerster verdient es nicht, ständig mit Janáček verglichen zu werden und ebenso wenig dem Vorwurf ausgesetzt zu sein, alles in ein wenig Poesie verpackt zu haben, nur weil er der Rohheit und Nüchternheit von Preissovás Geschichte misstraute.

Ich bin die Letzte, die ihn dafür verantwortlich machen möchte, da zu seiner Zeit Libretti in Versform durchaus üblich waren. Ebenso wenig würde ich ihm anlasten, in Bezug auf die Wahrnehmung des Texts nicht die Unterscheidungskraft eines Janáček zu haben, der es meisterhaft verstanden hat, gereimte Libretti zu vertonen. Einige dieser Verse erscheinen uns niedlich und altmodisch, aber so viele gibt es davon nicht, und sie haben auch keinen signifikanten Einfluss auf die Oper als Ganzes. Andererseits bin ich mir nicht so sicher, ob ich mich in Eva verliebt hätte, würde ich nur das Libretto, aber nicht Preissovás Geschichte gekannt haben. Ich kann es nicht sagen, weil ich mich zuerst mit Preissová vertraut gemacht habe und anschließend erst mit Eva.

Wir haben uns daran gewöhnt, in der Oper alles zu verschönern und zu kolorieren. Was ich an Eva so verlockend fand, war die Aussicht, tief in eine Art von Aufrichtigkeit einzutauchen.

Sie arbeiten gerne mit Symbolik. Eines der wichtigsten Ausdruckselemente ist Erde. Was symbolisiert die Erde in Eva?

Keprtová: Erde ist ein Material, das wunderbar helfen kann, bestimmte Gefühle auszudrücken, die ich in einem Charakter sehe. Erde kennen wir gut, das ist keine innovative Idee. Gemeinsam mit der Bühnenbildnerin hatten wir von Anfang an Erde vor Augen, wir fühlten und rochen sie, weil diese Geschichte für mich auch ein Ausdruck der täglichen Schufterei, der täglichen Arbeit ist, der Schlamm, der sich im Regen bildet. Aber auch eine Geschichte über etwas, das aus der Erde wachsen kann.

Eva bemüht sich die ganze Zeit intensiv, ihrem Leben so etwas wie einen Rahmen zu geben, sie strengt sich an, ein »Gartenbeet« zu errichten, wo sie etwas anpflanzen kann. Wichtig war für mich auch, dass Eva ein Waisenkind ohne jeglichen Hintergrund ist. Sie hat keinen festen Boden unter den Füßen, der auf einem familiären Hintergrund basiert, mit Wurzeln und familiären Beziehungen, keine Basis und keinen Ort, an dem sie Probleme im Leben besser übersteht. Deshalb erweckt Eva den Eindruck, sehr impulsiv zu reagieren, fast hysterisch. Sie hatte eben ganz andere Ausgangsbedingungen als die anderen.

Aus diesem Grund verwendeten wir die Erde und einen Holzdielenboden als Symbol für ein Schicksal, dem sich jemand widersetzt und bemüht, es abzuändern. Die Bühnenbildnerin und ich definierten das als Welle, die vom Boden ausging. Eva kommt aufgrund ihrer Unfähigkeit zu Tode, sich dem Leben anzupassen, das ihr gegeben wurde. Es kann vorkommen, dass man nicht mit dem Menschen leben kann, den man liebt oder dass ein Kind stirbt. Das sind Schicksalsschläge, die ich mir nicht einmal vorstellen kann. Ich kann nur spekulieren, wie eine solche Person sich fühlt. Wie auch immer, Eva ist so lebenshungrig und will ein glückliches und erfülltes Leben führen, dass sie im Moment, als sie merkt, dass sie ein solches Leben nicht führen kann, beschließt, ihrem Leben ein Ende zu bereiten.

Trotz allem findet Eva am Ende ihres Lebens ihren Frieden und stirbt in Katharsis.

Keprtová: Ja, so ist es.

Warum haben Sie sich entschieden, den behinderten Samko die ganze Zeit auf der Bühne zu belassen? Was wollten Sie damit sagen?

Keprtová: Ich hatte das Gefühl, dass Samko nicht so sehr körperlich, sondern eher geistig behindert ist. Darauf wird am Ende hingewiesen, wenn er aufsteht und ganz teilnahmslos den Stuhl in die Richtung rückt, wo Eva im Sterben liegt, um ihr Grab zu sehen (das war meine Absicht). Bis dahin verharrt er auf seinem Stuhl. Er schlägt Eva in einem Moment, in dem sie sehr schwach ist, vor, sie zu heiraten. Als ihr Kind erkrankt, ruft er keinen Arzt. Als sie beschließt, nach Österreich zu gehen, läuft er nicht zum Bahnhof, um den Frühzug zu erreichen, damit er sie überredet, zu ihm zurückzukommen und ihn nicht zu verlassen. Er bleibt einfach sitzen und nimmt um sich herum alles nur passiv wahr. So äußert sich für mich eine geistige, aber keine körperliche Behinderung. Plötzlich merken wir, dass er von diesem Stuhl aufstehen kann, allerdings nur, wenn er will. Dann setzt er sich wieder hin. Er ändert nur seinen Blickwinkel.

Foerster verdient es nicht, ständig mit Janáček verglichen zu werden und ebenso wenig dem Vorwurf ausgesetzt zu sein, alles in ein wenig Poesie verpackt zu haben, nur weil er der Rohheit und Nüchternheit von Preissovás Geschichte misstraute.

Glauben Sie, dass diese Oper auch für das ausländische Publikum interessant ist?

Keprtová: Sicher. Wie bereits erwähnt, hat ein ausländisches Publikum kein Problem mit dem Libretto in Versform, das ein Schwachpunkt der Oper sein könnte. Zuschauer, die nicht an den tschechischen Text gebunden sind, können die Handlung und die Musik mehr genießen.

Haben Sie sich jemals gefragt, warum Eva so selten inszeniert wurde?

Keprtová: Ich habe keine Antwort auf diese Frage. Für mich ist das ein Rätsel. Allerdings gibt es keine ernsthaften Gründe dafür. Es war mehr oder weniger ein Zusammentreffen von Umständen, dass die Oper vergessen und nicht mehr aufgeführt wurde. Aber ich sehe dafür keine fatalen Gründe.

Also geht es um eine echte Neuentdeckung der Eva?

Keprtová: Wir werden sehen. [lacht]


Interview: Jana Gajdošíková
Prag, Februar 2015
© Universal Edition