Liszt rediscovered

Martin Haselböck


PDF herunterladen
Per E-Mail senden

Woher kommt Ihr Interesse für Liszt?

Haselböck: Mein Interesse für Liszt als Dirigenten und Organisten geht bis in meine Studienzeit zurück. So konnte ich ab 1983 sämtliche Orgelwerke des Komponisten erstmalig für die UE edieren und sie auch zweimal für Tonträger einspielen. In der Zwischenzeit haben wir gemeinsam mit dem Liszt Festival Raiding mit der Reihe The Sound of Weimar das ambitionierte Projekt gestartet, erstmalig alle Orchesterwerke von Liszt im Originalklang einzuspielen. Das Projekt, das erfreulich großen Anklang findet, wird mit meinem Orchester, der Wiener Akademie, durchgeführt.

Dass die UE nunmehr auch zwei Orchesterwerke von Liszt verlegt, verdankt sie Ihrer Initiative. Wie sind Sie auf die Werke gestoßen?

Haselböck: Die beiden Werke sind durchaus unterschiedlich in Konzeption und Anlage.

Vexilla regis prodeunt ist ein in orchestralen Farben schillerndes Orchesterwerk, es gehört zu jenen Werken, die Liszt nach seinem Abgang von Weimar nach Rom auf sakrale Themen komponiert hatte. Die Partitur habe ich im Goethe-Schiller-Archiv in Weimar erst vor einem Jahr näher begutachtet und entdeckt, dass hier ein völlig unbekanntes und noch nie gespieltes Werk vorliegt.

Ad nos dagegen ist eine Bearbeitung für Orgel und Orchester eines der bekanntesten Orgel-Solo-Werke Liszts durch den französischen Organisten und Komponisten Marcel Dupré, der hier die gleichen Techniken anwandte wie Liszt selbst in seiner Bearbeitung der Schubertschen Wanderer-Fantasie. Meine Kollegen Olivier Latry und Denny Wilke entdeckten die autografe Partitur der Bearbeitung im Keller von Duprés Villa in Meudon. Das Werk wurde inzwischen mehrfach erfolgreich aufgeführt und von mir selbst mit dem Solisten Christian Schmitt und der Deutschen Radio Philharmonie in der Philharmonie Luxembourg für CD (cpo) und TV (arte) eingespielt.

Ist »Ad nos« ein sakrales Werk?

Haselböck: Nein, es ist ein weltliches Stück Musik. Liszt wurde zwar beauftragt, für die Einweihung der neuen Orgel im Dom von Merseburg eine Fantasie über das Motiv B-A-C-H zu verfassen. Er schaffte es jedoch nicht, das Werk rechtzeitig fertigzustellen und setzte als Ersatz seine Fantasie und Fuge über den Choral Ad nos, ad salutarem undam, der aus der Oper Der Prophet von Giacomo Meyerbeer stammt, auf das Programm. Das Orgelstück, das ja an die 30 Minuten dauert, wird daher manchmal auch die Propheten-Fuge genannt.

Welche Bedeutung hat »Ad nos« in dieser Version für das Repertoire der Organisten?

Haselböck: In der Soloversion ist Ad nos eines der wichtigsten Werke des romantischen Solorepertoires. Das Stück ist die erste Orgelsymphonie, d. h. Vorläufer aller gleichnamigen Werke von Charles-Marie Widor, Louis Vierne u. v. a. In der Orchesterversion, die Dupré gekonnt in schillerndem, französischem Kolorit erstellte, ist Ad nos nun eines der wenigen postromantischen Konzerte für Orgel und Orchester. Wir Organisten haben ja keine Tschaikowsky- oder Chopin-Konzerte. Die Orgelsymphonie von Saint-Saëns teilt den Namen dieses Genres, bietet dem Organisten jedoch keinerlei solistische Entfaltung.

Dupré hatte ja keine Instrumentalstimme, die er orchestrieren hätte können. Woher leitet er seinen Orchesterpart ab?

Haselböck: Dupré lässt tatsächlich den Notentext der Soloversion weitgehend unverändert, d. h. die Orgel ist von Anfang bis zum Ende des Stücks solistisch tätig. Der Orchesterpart fügt eine weitere Dimension hinzu, er verdoppelt einerseits den Klang der Orgel, bietet andererseits interessante, oft kontrapunktische Gegenstimmen aus der Feder des Bearbeiters.

Das zweite Werk, das die UE Ihnen verdankt, ist »Vexilla regis prodeunt«. Aus welcher Schaffensperiode stammt dieses Werk?

Haselböck: Liszt zieht nach Abbruch seiner Tätigkeit von Weimar nach Rom, wo er in fast klösterlicher Rückge­zogenheit lebt, jedoch mit Kontakten zum hohen Klerus, den Kardinälen, selbst zum Papst.

So entsteht eine Reihe von Werken mit sakralem Hintergrund, wie die Evocation à la Chapelle Sixtine und die Franziskus-Legenden, die wie in einer Manufaktur sogleich in verschiedenen Versionen für Klavier, für Orgel, aber auch für Orchester niedergeschrieben wurden. Die Werke sind weit entfernt vom gängigen Konzert­repertoire, Liszt kann in Rom nicht auf ein Orchester zurückgreifen, die Stücke entstehen so für die Schublade. Die Uraufführungen dieser Werkgruppe fanden allesamt posthum statt, im Falle von Vexilla regis prodeunt eben 127 Jahre nach dem Tode des Komponisten, nämlich am 20. Oktober 2013 beim Liszt Festival in Raiding, dem Geburtsort von Liszt.

Liszt kann in Rom nicht auf ein Orchester zurückgreifen, die Stücke entstehen so für die Schublade.

Martin Haselböck

Was ist das Thema des Werks?

Haselböck: Vexilla regis prodeunt ist ein lateinischer Hymnus auf das Kreuz Jesu Christi, der ab dem 9. Jahrhundert auch liturgisch Verwendung fand. Eine große Rolle dürfte er auch zur Zeit der Kreuzzüge gespielt ­haben. Liszt deutet den Gesang daher fast martialisch, entfernt an seinen Marsch der Kreuzritter aus der Elisabeth-Legende erinnernd. Insgesamt ist das Werk eine knappe, aber wichtige Komposition Liszts, in seiner Farbigkeit noch die Weimarer Episode spiegelnd, in seinen Durchführungstechniken schon das Spätwerk vorbereitend.

Warum konnte eine große Komposition Liszts so lange unbeachtet und unaufgeführt bleiben?

Haselböck: Das Autograf des Werks liegt im Goethe-Schiller-Archiv in Weimar, dem Hauptarchiv für Manus­kripte Liszts, jedoch mit dem Zusatz »Fragment«. Die Komposition wird auch in den gängigen Werkverzeichnissen geführt, es scheint bisher niemand die P­artitur genauer betrachtet zu haben: Bei Durchsicht des Manuskripts zeigt sich, dass die Komposition vollständig und genau bis ins Detail instrumentiert und bezeichnet ist, es fehlen ausschließlich die drei letzten Takte, die jedoch anhand der Klavierfassung leicht rekonstruiert werden können. Es liegt also eine groß angelegte, reich instrumentierte Komposition des reifen Liszt vor, die hier erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wird.


Franz Liszt (1811–1886)

Vexilla regis prodeunt
für Orchester | 7’
3 2 2 2 - 4 2 3 1 - Pk, Org, Bck, Str
UA: 20.10.2013 Raiding, Wiener Akademie /dir. Martin Haselböck

Ad nos, ad salutarem undam (1850)
Fantasie und Fuge über den Choral der Wiedertäufer
aus Giacomo Meyerbeers Oper Le Prophète | 30’
für Orgel und Orchester eingerichtet von Marcel Dupré
3 3 3 3 - 4 3 3 1 - Pk, Schl(2), Hf, Str