Friedrich Cerha: Spiegel I-VII
Friedrich Cerha über die Spiegel:
Der optische Aspekt hat in allen Phasen der Entstehung der Spiegel eine wesentliche Rolle gespielt. Bei der Niederschrift dieses szenischen Entwurfs (1961) war ich mir immer darüber im Klaren, dass es nicht eine einzige zwingende Verklammerung von optischer und akustischer Ebene geben kann, sondern im Zusammenwirken beider ein Feld von Überschneidungen entsteht, in dem im einzelnen verschiedene Lösungen möglich sind. Regisseur und Choreograph sollen sich also möglich wenig gebunden oder gar bevormundet fühlen und Raum für individuelle kreative Entfaltung haben.
Die deskriptive Aufzeichnung meiner eigenen Vorstellungen scheint dem zu widersprechen, und ist ein Verfahren, das zu Missverständnissen führen kann. Ich habe mich trotzdem dazu entschlossen, um ein Bild von Eindrücken zu geben, die ausgelöst werden sollen. Nur die Grundtendenz der in diesem Entwurf beschriebenen Vorgänge ist verbindlich. Überblickt man das Gesamtkonzept, so lässt sich mühelos einiges am Regeln für die Darstellung ableiten.
Das einzelne Wesen, seine individuelle Entwicklung, sein Schicksal ist nicht Gegenstand der Darstellung. Leben tritt immer als Gemeinschaft auf, expressionistische Akzente sind zu vermeiden. In einer bestimmten historischen Situation naheliegende Symbolgehalte sollen nie gewaltsam verdeutlicht werden. Das Bewegungsinventar des klassischen Balletts ist für die Lösung der in diesem Stück gestellten Aufgaben ungeeignet. Die Bewegungen der Akteure sind oft ähnlich, aber nicht gleich; sie sind nur in seltenen Ausnahmefall simultan. Ähnlichkeit der Bewegung und zeitliche Koordination sind stärker, wenn die Aufgabe eine gemeinsame ist.
Die Musik enthält zwischen einzelnen Teilen starke formale Bezüge, Varianten, und variierte Reprisen. Im optischen Bereich sind solche ebenfalls intendiert, beide Beziehungssysteme decken einander aber nicht immer, wiewohl das optische Geschehen grundsätzlich aus der Musik zu entwickeln ist. Durch das Zusammenwirken der beiden Ebenen soll auf diese Art eine Komplexierung der Beziehungen erreicht werden. Es wäre richtig, wenn – analog zur Musik – auch im optischen, von adäquat gewähltem Material ausgehend, formal beherrschte Komposition ästhetischen und dramatischen Geschehens als wesentlich erkennbar wäre, die sich zu emotionellen und geistigen Grundlagen so verhält, wie die Musik es tut.
Friedrich Cerha