Vom Zauber »reiner« Intervalle

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© Marion Kaltera
Georg Friedrich Haas

Herr Haas, Sie haben einen »Ton«, einen unverkennbaren Stil gefunden. Wie leicht fällt das einem Komponisten?

Haas: Das nehme ich, auch wenn es so nicht gemeint ist, ja fast als Vorwurf. Die erste Antwort wäre, dass ich hoffe, dass in einer meiner nächsten Kompositionen wieder etwas dabei ist, wo man nicht sagt, das ist wieder »typisch Haas«. Sich hinzusetzen und seinen »Personalstil« zu konstruieren, funktioniert so sicher nicht und das ist auch anderen Komponisten nie gelungen.

Zum Wiedererkennungswert und zum unterstellten Personalstil: Ihre Musik erwuchs – rein technisch betrachtet – unter anderem sowohl aus dem Interesse am Oberton-Farbspektrum der Musik als auch aus der akribischen Beschäftigung mit der Mikrotonalität, wie sie von den Komponisten Iwan Wyschnegradsky oder Alois Hába erstmals angewandt wurde. Sie haben letztere in selbstständiger Anverwandlung weiterentwickelt.

Haas: Um das, was die Mikrotonalität betrifft, ein wenig auf den Boden der Realität zu stellen: Sicherlich spielt die Beschäftigung damit in meiner kompositorischen Arbeit eine große Rolle, aber ich glaube nicht, dass sie eine signifikant größere Rolle spielt als bei den meisten meiner Kolleginnen und Kollegen.

Ich habe etwa Enno Poppe in Warschau bei einer ­Podiumsdiskussion gesagt, dass er, gäbe es eine Olympiade für Mikrotonalität, da einige Positionen vor mir wäre. Die Harmonik von Iwan Wyschnegradsky, der einer der Pioniere der Vierteltonmusik war, spielt sicher in meiner Musik eine zentrale Rolle, aber nicht in der Vierteltönig­keit, sondern in der halbtönigen Annäherung, die Wyschnegradsky auch verwendet hat. Wenn ich ihn zitiere, dann eher in der Nicht-Vierteltönigkeit des Vierteltonkomponisten. Das relativiert die Sache schon wieder.

Ich habe zur Vierteltönigkeit auch eher ein gespaltenes Verhältnis. Ich hatte mich mit dieser beschäftigt, indem ich zu Hause zwei voneinander im Viertelton­abstand gestimmte Klaviere hatte, und es war natürlich sehr aufschlussreich, damit gemeinsam mit einem Partner experimentieren zu können. Aber die Vierteltönigkeit ist schon etwas sehr Abstraktes und auch etwas, das mit dem Gehör nur schwer zu erfassen ist. Ich habe hervorragende ­Orchester erlebt, auch solche, die viel Neue Musik spielen, wo sich die Musiker mit ziemlicher Unschärfe in dieser Viertel­tönigkeit bewegten, die weit entfernt ist von der Präzision, mit der sie sich sehr versiert im Halbtonsystem bewegen.

Das bei weitem wichtigere Element in Ihrer Musik ist der Bezug auf das Spektrum der Obertöne?

Haas: Das spielt für mich eine ganz große Rolle. Mich interessiert diese unglaublich intensive Klangqualität der »rein« intonierten Intervalle. Ein rein gestimmter Obertonakkord.

Da streifen wir jetzt die expressive Komponente in Ihrer Musik, die ja auch – und jetzt gelangen wir in das gefährliche Fahrwasser der verbalen und damit ideologischen Interpretation und Sinnerklärung – Botschaften vermitteln will. In einem Spektrum, das von Verzweiflung und Trauer bis hin zu Schönheit, Leidenschaft, Trunkenheit, Ekstase reicht. Unmöglich, von einer Musik, wie etwa »in vain«, nicht existenziell berührt zu sein.

Haas: Das freut mich natürlich, wenn das so wahr­genommen wird, reden kann ich da nicht oder nur sehr schwer darüber. Meine Entscheidung, als 17-Jähriger nicht Schriftsteller, sondern Komponist werden zu wollen, hatte vielleicht damit zu tun, dass ich gemerkt habe, ich kann mich verbal nicht so präzise ausdrücken wie klanglich.

Sie haben Recht, in meiner Musik ist Trauer, da ist Angst, da ist das Gefühl des Getriebenseins, einer Unerbittlichkeit, irgendwohin geführt zu werden, egal ob man das will oder nicht. Aber: Bis auf ganz wenige Ausnahmen ist es keinesfalls so, dass ich mich hinsetze, um ein ästhetisches Programm oder eine Geschichte zu vertonen. Es gibt manchmal Stimmungen, die am Anfang stehen. Bei in vain war das die Betroffenheit über die schwarz-blaue Regierungsbildung im Jahr 2000, wo ich eine Musik ­gemacht habe, die formal so abläuft, dass das als überwunden Geglaubte am Ende wieder zurückkommt.

»in vain« ist im Abstand der Jahre zum Kultstück ­geworden, das vor allem durch seine berückende klangliche Schönheit frappiert.

Haas: Vielleicht hören andere Menschen das anders, aber ich kann mir trotzdem nicht vorstellen, dass jemand diese Wiederkehr des Anfangs anders als beklemmend wahrnehmen wird. Das reicht schon. Mehr braucht es nicht. Und den konkreten politischen Anlass, den dürfen wir heute ja Gott sei Dank vergessen. Momentan bin ich darüber glücklich, dass dieses Stück länger gelebt hat als diese Regierung. Das kann man immerhin schon sagen.

Nach Ihrem »Durchbruch« als international anerkannter Komponist in den späten Achtzigerjahren, dem ab, sagen wir, 1988/89 auch eine noch größere Zahl ­imponierender Stücke als je zuvor folgten: Sehen Sie sich selbst in Ihrem Schaffen in einer ständigen, gar linearen Weiterentwicklung begriffen? Relativieren sich für Sie persönlich ältere Werke?

Haas: Das Duo für Bratsche und präpariertes Klavier stammt aus dem Jahr 1984 und ich halte es auch noch heute für eines meiner stärksten. Diese c-Moll-Melodie am Ende, die die Bratsche, deren Saiten bei jeder ­Wiederholung umgestimmt werden, immer wieder repetiert, sodass eine Art Wegschmelzen der Tonalität eintritt, ist schon etwas, an dem man »Personalstil« sehen könnte, wenn man das will. Obwohl es ganz anders klingt als andere Stücke von mir und man ziemlich lange brauchen würde, um auf die Idee zu kommen, dass das von mir sein könnte. Und ich hoffe, dass ich auch in Zukunft wieder ganz andere Stücke schreiben kann. Was vor zehn Jahren geschrieben wurde, ist ja noch nicht unbedingt alt.

Schreiben Sie je nach Auftrag jeweils für verschiedene Gruppen, Ensembles oder Orchester anders?

Haas: Ja. Ich versuche immer, für die jeweilige Aufführungssituation zu komponieren. Ich kann das auch an konkreten Beispielen verdeutlichen. Poème war ein Auftrag für das Cleveland-Orchester und ich wusste, dass es fast keine Proben gibt, da diese in den USA extrem teuer kommen, wusste aber auch, dass im Gegensatz zu Europa die Interpreten bestens vorbereitet zu den Proben kommen. Da ist ein soziologischer Unterschied: Wenn ein amerikanischer Musiker unvorbereitet zur Probe kommt, verliert er seinen Job, wenn ein europäischer sich vorbereitet zeigt, schauen ihn die anderen böse an. Das ist einfach so und man muss das zur Kenntnis nehmen. Das Gegenstück war Natures mortes für Donau­eschingen, wo man in atypischer Weise viele Proben hat. Und ich wusste, dass Sylvain Cambreling dirigiert, der meine Musik kennt wie kaum ein anderer. Dort konnte ich mir den Luxus erlauben, für großes Orchester fünf verschiedene Obertonreihen zu schreiben. Die brauchten dazu sechs Proben plus Realisation. Bruchstück hat einen einzigen Obertonakkord, in vain hat zwölf – weil es das Klangforum ist.

Das heißt, man kann das machen, wenn man sich damit auseinandersetzt.

Haas: Die Psychologie von 24 Leuten ist so grund­verschieden von der eines Orchesters mit 85 oder 100 Mitwirkenden, dass die Dinge, die mit 24 gehen, mit 100 noch nicht zu realisieren sind. Meine Musik ist immer noch utopisch, noch immer nicht ganz zu ­realisieren, aber nach fünf, zehn Jahren geht es dann doch, dann hat sich das irgendwie herumgesprochen und eingeschliffen. Da kann ich auch noch etwas anderes erzählen: Das Zweite Streichquartett, das 1998 im Wiener Konzerthaus uraufgeführt wurde, habe ich für das Hagen-Quartett geschrieben, das der Moderne gegenüber sehr aufgeschlossen ist, aber dessen Schwerpunkt doch eher in der Vergangenheit liegt. Clemens Hagen, der auch der erste Solist meines Cellokonzerts war, hat mir später erzählt, die Musiker verwenden den Ausdruck »Haas-Intonation«, wenn sie romantische oder klassische Musik in reiner Intonation spielen.

Es wurde ihnen also durch die ­Auseinandersetzung mit meinem Stück auch die Problematik bewusst gemacht, mit der sie in der anderen Musik auch zu tun haben. Meine große Hoffnung ist, dass das auch in den Orchestern verstanden wird, obwohl das dort durch die Gruppengrößen noch viel schwerer zu erreichen ist. Dass denen auch klar wird, dass ich genau mit dem arbeite, womit sie sich bei Schubert und Bruckner herum­schlagen. Die Aufführungsqualität würde davon sehr profitieren. Streicher oder Bläser müssen (und mussten) ja auch bei tonaler Musik mikrotonal intonieren, um ausdrucksstark spielen zu können. Das ist ja das Interessante, dass die Komponisten das immer den Interpreten überlassen haben, das mag damit zu tun haben, dass man dafür eine eigene Notenschrift hätte erfinden ­müssen. Aber das sind Bereiche, die den Instrumentalisten aus der tonalen Musizierpraxis beim Ausstimmen von Akkorden durchaus vertraut sind. Und wo kompositorisch noch sehr viel zu finden ist.