Zurück in die Zukunft

»Gawain« bei den Salzburger Festspielen


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© Hanya Chlala
“Where does my music come from? My imagination. I imagine a music that doesn’t exist.” Harrison Birtwistle

»Die Uraufführung einer Oper von Harrison Birtwistle ist heute ein nationales Ereignis, das es sogar in die Wochenendbeilage schafft«, schrieb ein britischer Journalist mit feiner Ironie, als 1991 Birtwistles Gawain in Covent Garden aus der Taufe gehoben wurde. Es wurde einer der größten Triumphe in Birtwistles Karriere. Wie bei neuen Opern selten genug wurde sie 2000 im selben Haus erneut auf den Spielplan gesetzt. Nun wird Gawain erstmals außerhalb Englands gezeigt. Die Salzburger Festspiele beginnen damit heuer ihr Opernprogramm und würdigen so Birtwistle bereits ein Jahr vor seinem 80. Geburtstag.

Ein harmonisches Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur

Gawain basiert auf der mittelenglischen Romanze Sir Gawain and the Green Knight, einem anonymen Stabreimepos aus dem 14. Jahrhundert und mittelenglischen Meisterwerk, das heidnische Rituale und frühchristliche Bilderwelt vereinigt.

Der Text ist Teil der Artuslegende und erzählt die Geschichte des Grünen Ritters, der zur Weihnachtszeit an König Arthurs Hof kommt, um den Anwesenden einen merkwürdigen Handel vorzuschlagen: Derjenige, der sich traut, ihm mit einer Axt den Kopf abzuschlagen, soll sich nach Ablauf eines Jahres und eines Tages der gleichen, nun vom Grünen Ritter ausgeführten Probe in der Grünen Kapelle im Hohen Norden stellen. Gawain, Arthurs Neffe und einer der Ritter der Tafelrunde, lässt sich auf dieses scheinbar absurde Spiel ein und siehe da: Nach vollzogener Tat lebt der Geköpfte weiter und Gawain muss sich, um den Pakt zu erfüllen, auf eine abenteuerliche Reise machen, die ihn zu einem anderen Menschen machen wird.

Das Libretto von Gawain stammt vom englischen Dichter David Harsent, mit dem Birtwistle noch bei weiteren Opern zusammenarbeiten sollte. So »modern« und verständlich der Text nun auch ist und Birtwistles Tendenz zu einer fragmentierten Handlung in früheren Opern negiert. Die Wucht und Energie der Partitur suchen selbst im Œuvre Birtwistles ihresgleichen, wobei es ihm aber wichtig war, gezielt zwischen der geordneten Welt drinnen und der wilden, gesetzlosen Welt draußen zu unterscheiden. Schließlich symbolisieren sie zwei Seiten derselben Idee: Gawain selbst.

Der homerischen Unmittelbarkeit der Originaldichtung und ihrer unverkennbaren Prägung durch den Nordwesten Englands (aus dem auch Birtwistle stammt) entsprach der Komponist etwa mit der Verwendung von drei Tuben und einem Euphonium.

»Birtwistle griff nach der Zukunft«, schrieb der britische Musikwissenschaftler David Beard, »indem er sich auf eine mythische, wagnereske Vergangenheit bezieht.« Damit beschreibt er auch eine der zentralen Szenen der Oper: die Szene des Wandels der Jahreszeiten am Ende des ersten Aktes, die abbildet, wie ein Jahr vergeht, und gleichzeitig die zeremonielle Bewaffnung Gawains darstellt, bevor dieser aufbricht, um seinem Schicksal entgegenzuziehen. Es klingt an, wonach sich der moderne Mensch wie nie zuvor sehnt: nach einem harmonischen Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur.

Und auch Gawains Reise zu Beginn des zweiten Aktes, die parallel die den Ritter bereits erwartenden Bertilak und Lady de Hautdesert zeigt, steht für Birtwistles Neigung, musikalische und dramatische Situationen aus mehreren Blickwinkeln zu betrachten.