Das Gilgamesch-Epos
Oratorium in 3 Teilen für Soli, gemischten Chor und Orchester nach dem Text der neuen kritischen Gesamtausgabe | 50'
Libretto von Bohuslav Martinů nach Reginald Campbell
Herausgeber: Aleš Březina
2 0 2 0 - 0 3 2 0 - Pk, Schl(4), Hf, Klav, Str
Uraufführung: 23.01.1958, Basel; Basler Kammerorchester, Dir. Paul Sacher
Uraufführung der kritischen Ausgabe: 11.12.2014, Národní divadlo, Brno; Brno Philharmonic Orchestra, Dir. Aleksandar Marković
Das Gilgamesch-Epos ist eine große assyrisch-babylonische Dichtung, die in Keilschrift auf Tontafeln aufgezeichnet wurde, die wahrscheinlich aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. oder vielleicht aus noch früherer Zeit stammen...
...Trotz der gewaltigen Fortschritte, die wir in Technik und Industrie gemacht haben, fand ich, dass die Gefühle und Fragen, die die Menschen bewegen, sich nicht verändert haben und dass sie in der Literatur der ältesten Völker, von denen wir Kunde haben, ebenso vorhanden sind wie in der unseren. Es sind Fragen der Freundschaft, der Liebe und des Todes. In dem Gilgamesch-Epos wird sehr intensiv und mit fast schmerzhafter Ängstlichkeit der Wunsch laut, die Antworten auf jene Fragen zu finden, Antworten, nach denen wir bis jetzt vergebens suchen.
Meine Komposition befasst sich mit den folgenden Ereignissen: Gilgamesch, der große König von Uruk, wird gefürchtet und verehrt wie ein Gott. Er schließt Freundschaft mit Enkidu, einem merkwürdigen Manne. Enkidu ist der ursprüngliche Mensch im Naturzustand. Er hat lange in Unwissenheit und Sorglosigkeit gelebt. Die Tiere, die er verteidigte, waren seine Freunde. Um diesen gefährlichen Widersacher zu gewinnen, sandte Gilgamesch eine Frau zu ihm, eine Tänzerin aus dem Tempel der Istar, die ihn verführte. Als Enkidu seine Unschuld verloren hatte, fürchteten ihn die Tiere und flohen bei seinem Nahen. Er folgt der Frau in die Stadt, in der man Brot isst und Wein trinkt und in der es Tänze und Feste gibt. Seine Lebensweise ändert sich rasch, aber er begreift auch, dass er arbeiten muss, um seinen Unterhalt zu verdienen. Er wird ganz bleich, und es kommt ein Augenblick, in dem er mit Bedauern an seine Jugend zurückdenkt. Er kämpft gegen Gilgamesch, aber schließlich werden die beiden Waffenbrüder. Die beiden Helden schließen enge Freundschaft.
Eines Tages wird Enkidu krank. Gilgamesch beobachtet ihn – einen Tag, zwei Tage, elf Tage; aber er rührt sich nicht, er ist tot. Die ihm wesensfremde Frage des Sterbens erhebt sich vor Gilgamesch. Er begreift nicht, dass Enkidu für immer von ihm gegangen ist, »dass es die Erde war, die ihn nahm.« Er beginnt, um sich selbst zu fürchten, um sein Leben. Er bittet die Götter, ihm seinen Freund zurückzugeben, aber die Götter bleiben stumm, er erhält keine Antwort. Gilgamesch macht sich auf, die Unsterblichkeit zu suchen, aber er weiß jetzt: »Nur Götter leben ewig, die Tage des Menschen sind gezählt. Freue dich deshalb, Tag und Nacht, sei glücklich und zufrieden, Nacht und Tag.«
Er stößt leidenschaftliche Bitten aus, er fleht die Götter an, ihm zu gestatten, seinen Freund Enkidu wenigstens für einen Augenblick wiederzusehen. Durch die Kraft seiner Beschwörung öffnet sich die Erde, und der Geist des Enkidu erscheint wie ein Hauch. Gilgamesch fragt ihn angstvoll darüber aus, was er in jener anderen, unbekannten Welt gesehen hat. Mit diesem pathetischen und höchst düsteren Monolog schließt das Epos.