David Sawer – Drama und Musik

Gerard McBurney


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© Azzurra Primavera
»Vieles, was seine Kunst ausmacht, entsteht aus seinem untrügerischen Sinn für Timing.«

Gerard McBurney untersucht die Beziehung zwischen Drama und Musik in den Werken von David Sawer und gibt uns Einblick in die dunklen Welten, die diesen scheinbar strahlend hellen und spielerischen Partituren zu Grunde liegen.


Die Klarheit und Präzision von David Sawers Musik – an der Oberfläche ein stets gleißender Klangstrom, der beständig wechselt, blinkt und wirbelt – geht sofort ins Ohr.

Und doch erkennen wir nach einem kurzen Moment, dass es unter dieser unmittelbar wahrgenommenen musikalischen Oberfläche dünklere, kältere, langsamer fließende Gewässer gibt, wo seltsame Schatten und Formen uns an einen völlig anderen Sinn erinnern.

Jazz und Strawinsky
Diese anziehende Klarheit von Sawers Vision entsteht zunächst durch sein gutes Ohr und vor allem durch die Art, mit der er selbst die einfachsten Ideen stets in einer Form ausdrückt, die sie voll zur Geltung bringt. Wenn wir seine Stücke hören, gelangen wir erstaunlich nahe an die Quelle des Klangs, das Summen des Bogens auf den Violinsaiten, das Vibrato von Atem und Rohrblatt. Dieser Komponist lässt die Zuhörer nie vergessen, wie Musik gemacht wird.

Die auffällige Klarheit findet sich auch im Material, in den melodischen, harmonischen und rhythmischen Texturen, aus denen seine Kompositionen bestehen – so kommt es, dass sich Kritiker bei Sawer oft an Jazz und Strawinsky erinnert fühlen. Natürlich könnte seine Musik ohne diese wichtigen Inspirationsquellen nicht existieren, aber sie klingt dennoch nicht danach. Wenn wir eine Harmonie in einem Sawer-Stück nach allen Regeln der Kunst sezieren, dann finden wir für den Bruchteil einer Sekunde kühle Transparenz, etwas viel Einfacheres als die Akkorde eines Duke Ellington, Gil Evans oder Igor Strawinsky.

Es ist nicht so sehr der vertikale Klang im einzelnen Moment, der uns zeigt, dass die scheinbare Einfachheit in Sawers Musik letztlich alles Andere als simpel ist, sondern die Lebhaftigkeit und Unberechenbarkeit, mit der der Komponist Ideen von erstaunlicher Vielfalt in rascher Abfolge wie auf einer Perlenschnur aneinanderreiht.

»Sawer selbst merkte an, dass sein Ansatz zum Komponieren seine Wurzeln im Schauspiel hat.«

 

Dramatische Geschehnisse
Vieles, was seine Kunst ausmacht, entsteht aus seinem untrügerischen Sinn für Timing. In Sawers Musik scheint stets alles in Echtzeit zu passieren, während wir zuhören, und so gut wie nie, weil metamusikalische Berechnungen am Werk sind, die über unser normales Verständnis hinausgehen (wie das bei zeitgenössischer Musik so oft der Fall ist).

Und wenn eins zum Anderen kommt, ist der nächste Schritt oft etwas Unerwartetes. Wir hören dieser Musik also zu, als wäre sie eine Erzählung, wir spitzen die Ohren und fragen uns, was uns in den nächsten Takten erwartet.

Sawer selbst merkte an, dass sein Ansatz zum Komponieren seine Wurzeln im Schauspiel hat. »Ich bin ein Theatermensch«, sagt er von sich. Und natürlich hat er zahlreiche Stücke für die Bühne komponiert – so etwa die Oper From Morning to Midnight, die Operette Skin Deep, Musik zur Begleitung von Stummfilmen und stummem Theater, Musik für Schauspieler und Musiker.

Es gab aber auch eine Vielzahl an Kompositionen, die Elemente des Theaters ganz auf Ebene der Musik neu erfinden. In seinem Frühwerk für Orchester mit dem Titel Byrnan Wood erklärt sich die Verbindung zwischen Musik und Theater durch einen Bezug auf die allseits bekannte Geschichte am Ende von Macbeth. In anderen, späteren Arbeiten wie etwa the greatest happiness principle und dem sprudelnd-lakonischen Klavierkonzert für Rolf Hind, sind wir in geheimnisvoller Weise auf uns selbst gestellt – die Musik spiegelt dramatische Geschehnisse wider, doch wir müssen unsere Fantasie benützen, ohne eine Erklärung oder einen Schlüssel erhalten zu haben.

Eine Eigenschaft des Dramas ist es, dass es keine Geständnisse anbietet. Wir gehen nicht ins Theater und sehen uns Hamlet oder Othello an, weil wir etwas über die Gefühle des Autors erfahren wollen, sondern weil uns die Interaktionen zwischen gegensätzlichen Charakteren und widerstreitenden Kräften interessieren.

Das sagt uns vielleicht auch etwas über die dunkleren Formen und Schatten unter der Oberfläche von David Sawers Musik. Wenn Schauspieler am Werk sind, liegt der Sinn dessen, was sie tun – sozusagen die Formen und Schatten – nicht in der Person des einzelnen Darstellers, sondern im »Leerraum« um den Darsteller.

Die strahlend hellen und spielerischen musikalischen Ideen, die über die herrlichen Oberflächen so vieler Kompositionen von Sawer tanzen, sind wie die Schauspieler. Wenn wir ihnen genauer zuhören, spüren wir dahinter und darunter dunklere Welten.


Werke

Rumpelstiltskin (2009) Ballett Dauer: 70 min für Ensemble und sechs Tänzer 1 1 2 1 - 1 1 0 1 - Hf, Vl, Va, Vc, Kb prem. 14.11.2009 Birmingham, Birmingham Contemporary Music Group, Martyn Brabbins

Byrnan Wood (1992) Dauer: 18 min für Orchester 4 4 4 4 - 6 4 4 1 - Schl(5), Hf(2), Str prem. 18.08.1992 London, BBC Symphony Orchestra, Mark Wigglesworth

the greatest happiness principle (1997) Dauer: 12 min für Orchester 3 2 3 2 - 4 3 4 1 - Pk, Schl(3), Hf, Str(12 10 8 8 6) prem. 06.06.1997 Cardiff, BBC National Orchestra of Wales, Mark Wigglesworth

Tiroirs (1996) Dauer: 12 min für Kammerensemble 1 1 2 1 - 2 1 1 0 - Schl(2), Hf, Klav, Str(1 1 2 2 1) prem. 15.02.1997 London, London Sinfonietta, Paul Daniel

Songs of Love and War (1990) Dauer: 12 min für 24 Stimmen, 2 Harfen und 2 Schlagzeuge prem. 07.12.1990 Frankfurt am Main, Ensemble Modern, Simon Joly