»… ein absoluter Durchbruch seiner kompositorischen Kraft«

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Sie sind sehr verbunden mit Georg Friedrich Haas‘ Konzert für Violine und Orchester? Wie sind Sie mit dem Stück – und dem Komponisten – in Kontakt gekommen?

Kovacic: Ich habe als Chef des Wiener Kammerorchesters Georg Friedrich Haas‘ Klavierkonzert Fremde Welten uraufgeführt. Er gab mir danach einige Stücke, die er für Sologeige in seiner Studienzeit geschrieben hatte, woraufhin wir uns häufig getroffen haben. Einmal hatte er dann sein Violinkonzert im Gepäck. Für mich war dieses Werk, nachdem ich einige von Haas‘ Vorwerken gekannt habe, ein absoluter Durchbruch seiner kompositorischen Kraft.

Das Werk ist es eine Fundgrube für neue Wege, die Sologeige mit dem Orchester zu verbinden.

Würden Sie sagen, dass dies das erste Werk war, bei dem Haas den Stil gefunden hat, den er bis heute verfolgt?

Kovacic: Ja. Ich muss dazu sagen, dass ich viele von Haas‘ früheren Kompositionen damals noch nicht gekannt habe, aber mir schien aus diesem Werk das erste Mal eine Einheit seiner strukturellen Ansätze und einer zwingenden dramatischen Kraft zu sprechen. Das Violinkonzert hat von Beginn an bis zu seinen großen Höhepunkten einen überaus folgerichtigen Verlauf, der in einer Verlorenheit der Sologeige am Schluss endet. Wenn man das Werk mit traditionellen Violinkonzert-Ohren anhört, ist es gleichzeitig eine Fundgrube für neue Wege, die Sologeige mit dem Orchester zu verbinden.

Wie behandelt Georg Friedrich Haas die Solovioline in dem Konzert?

Kovacic: Ich werde mit einer Negativdefinition anfangen: er verwendet keine einzige traditionelle instrumentale Spielform. Es ist alles neu, aus seinem harmonischen und dramaturgischen Konzept entwickelt. Es gibt nur eine einzige Stelle, bei der die Geige, nachdem das Orchester aus bestimmten Tempoverschiebungen auf einem Akkord zur Ruhe kommt, ganz hoch oben beginnt und dann absteigende Tonleitern spielt – dies ist für mich die einzige »violinistische« Figur. Dort verliert sich die Geige jedoch, sie versucht immer höher zu gelangen, bis sie in einer eher verzweifelten Kadenz endet.

Das Stück ist für die Sologeige sehr anspruchsvoll und technisch herausfordernd, auch in der Intonation durch Mikrointervalle heikel. Das Zusammenspiel muss sehr gut mit dem Orchester abgestimmt sein, die Geige soll sich in den Gesamtklang einbinden. Die traditionelle Form, die wir aus klassischen und romantischen Konzerten kennen und die eine Solovioline präsentiert, welche vom Orchester begleitet wird, gibt es in diesem Sinne nicht. Haas nutzt den ganzen Tonraum, daher braucht man eine sehr gute Tonvorstellung, um die Intervalle, die extremen Sprünge, zu bewältigen. Aber alles ist »geigerisch« und nicht gegen die Geige geschrieben, es ist wunderbar zu spielen.

Es gibt in dem Werk eine Auslöschung des Solisten durch das Orchester.

Wie würden Sie das Verhältnis zwischen dem Solisten und dem Orchester beschreiben?

Kovacic: Haas‘ Violinkonzert zeigt in dieser Hinsicht sehr großen Erfindungsreichtum, es gibt sehr viele überraschende Elemente. Das Orchester als Kollektiv ist für das Publikum hier vorherrschend, aber die Sologeige tritt in intime Verhältnisse mit sehr vielen einzelnen Instrumenten, z.B. mit dem Konzertmeister. Manchmal ist die Geige das vorwärtstreibende Element, manchmal wird sie von dem Geschehen im Orchester mitgerissen. Es entstehen sehr viele unterschiedliche Situationen, die eine lebendige Beziehung zwischen dem Solisten und dem Orchester schaffen. Es gibt eine Auslöschung des Solisten durch das Orchester, aber auch eine Einsamkeit der Sologeige. Aus einem unglaublichen Klang bleibt plötzlich ein hoher Ton übrig, mit dem die Geige wieder auftaucht. Dann zum Schluss das langsame Alleingelassen Werden durch das Orchester: Das Akkordeon ist das letzte Instrument, das mit dem Solisten spielt – das hat einen sehr gläsernen und unbeweglichen Klang, da ist schon alles erstarrt.

Zeit und Raum werden bewusst erlebt.

Wie würden Sie die Bedeutung von Zeit und Raum in dem Konzert beschreiben?

Kovacic: Das Publikum, denke ich, kann in Haas‘ Violinkonzert Zeit und Raum auf eine andere Weise erleben als in einem metrisch gebundenen Stück. Die Zeit wird bewusster erlebt, und ebenso der Raum. Von meiner Perspektive als Solist her spielen große rhythmische Verschiebungen, Accelerandi und Ritardandi eine wesentliche Rolle in dem Werk. In diesen Passagen spielt die Geige nicht mit. Teilweise hat mein Spielen sehr viel mit Warten zu tun bis zu dem Augenblick, an dem ich mich wieder orientieren kann. Ich merke, dass die Zeit läuft, aber sie läuft an mir vorbei. Dies ist zum Beispiel am Schluss so. Dort erklingt ein Schlagzeugklopfen, das in die Kadenz der Sologeige hineingeht. Ich spiele da etwas, merke aber, dass ich überhaupt nicht dabei bin, dass die Zeit neben mir läuft. Dieses Gefühl taucht in diesem Stück öfter auf.

Zu Beginn dieser Kadenz der Sologeige, von der Sie gerade sprachen, steht in der Partitur explizit »ohne Koordination mit dem Orchester«.

Kovacic: Stimmt, der Rhythmus läuft im Orchester stur weiter. Ich merke das, aber kann mich mit dem Orchester nicht koordinieren. Als ob ich woanders wäre und mich daher nicht in die Zeit einklinken könnte. Hier beginnt bereits der Ablösungsprozess, der bis in den Schluss hineingeht.

Also sind Sie am Ende des Konzertes vom Orchester als Solostimme losgelöst?

Kovacic: Ja, allerdings erlebe ich es beim Spielen eher – wie gesagt – als ein Alleingelassen Werden. Die Phrasen werden immer kürzer. Das col legno battuto und pizzicato sowie der letzte Akkord sind fast nicht zum Klingen zu bringen. Also ist es auch eine Art von Verstummen der Geige, weil das Alleinsein plötzlich bewusst wird. Sie kommt aus einer Höhe herunter, in der Georg Friedrich Haas gar keine Tonhöhen mehr schreibt, er schreibt einfach Noten ohne Hilfslinien. Ich bin da irgendwo verloren im Kosmos und finde dann langsam zur Erde zurück, befinde mich – so erlebe ich es – in sehr beschwörend gesanglichen Linien, die langsam verschwinden. Ich verliere meine Sprache, weil niemand mehr antwortet.

Gibt es denn Stellen in dem Werk, in denen die Solovioline nicht im Orchesterklang verloren ist?

Kovacic: Ja, natürlich. Es gibt einen permanenten Wechsel zwischen Verschwinden und wieder Auftauchen. Haas hat gleich in den ersten paar Minuten sehr viele Stellen geschrieben, in denen die Geige antreibt, durch Figurationen aktiv ist. Da ist sie tatsächlich eine Art führende Stimme. Diese gemeinsamen Tontrauben sind als Obertonkonstellationen zu sehen. Die Sologeige wirft einen Klangschatten über das Orchester, der mitwandert. Diese Geigenlinie ist jedoch sehr präsent und bekommt durch die Instrumente und die akkordische Situation eine gewisse Färbung.

Eine schöne Hügellandschaft klingt anders …

Gibt es für Sie persönlich eine Herausforderung mit dieser Violinstimme und Schwierigkeiten klanglicher, technischer oder emotionaler Art?

Kovacic: Was will man denn als Geiger? [lacht] Man will ja herausgefordert werden. Das Stück ist technisch anspruchsvoll, die rhythmischen und intonatorischen Aspekte vermischen sich hier natürlich sehr stark mit der emotionalen Intensität. Die Linienführung ist manchmal sehr kantig und scharf – ich würde sagen, eine schöne Hügellandschaft klingt anders. Man findet sich hier eher in einer gebirgigen Gegend wieder, in der es schroff auf und ab geht, oder die metallisch abgeschliffen ist. Dies bringt gleichzeitig technische Schwierigkeiten mit sich, aber so etwas will man ja als Musiker. Das ist es, was einem Vergnügen macht. Da fühlen sich die Finger und die Seele wohl.

Hat sich Ihre eigene Interpretation des Violinkonzertes über die Jahre verändert? Sie haben es ja bereits 1998 uraufgeführt und spielen das Werk bis heute immer wieder.

Kovacic: Ein Werk immer und immer wieder zu spielen ist wie einen Berg von mehreren Seiten zu besteigen. Man trifft bekannte Dinge, aber entdeckt auch neue Wege, neue Schönheiten. Ich denke viel über kleine Details nach, etwa über den letzten Akkord des Konzertes, der Pizzicato verhallt. Eigentlich würde ich hier gerne einen Akkord spielen, der dann, obwohl es ein Pizzicato ist, einen leichten Nachklang hat. Dafür muss ich noch eine Lösung finden.


Interview: Sarah Laila Standke
Wien, Juli 2013
(c) Universal Edition