»Er wusste, wer er war!«

Nuria Schoenberg Nono


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© George Platt Lynes/Arnold Schönberg Center, Wien
Arnold Schönberg (1874–1951) vor seinem Haus in Los Angeles, nach 1940

1913 war für Arnold Schönberg ein Schicksalsjahr. Innerhalb von wenigen Wochen erlebte er mit der Uraufführung der Gurre-Lieder am 23.2. seinen größten Erfolg und am 31.3. mit dem so genannten »Skandalkonzert« im Wiener Musikverein die größte Ablehnung. Anlass genug, um mit Nuria Schoenberg Nono, seiner Tochter, einen Versuch zu unternehmen, diese Zeit einzuordnen.

Nuria Schoenberg Nono liest zu Beginn des Interviews aus einem Brief ihres Vaters vor: »Auf die Gefahr hin, meinen Feinden eine Freude zu bereiten, muss ich gestehen, dass ich mich über jede Infamie der Kritik, über jeden Tadel, über jeden Angriff auf das Heftigste ärgere. Auch wenn ich lache, dann lache ich aus Wut. Deshalb halte ich es auch für unaufrichtig, mich nicht ausführlich zu wehren, wenn ich Gelegenheit dazu habe. Denn innerlich, in Wirklichkeit, wehre ich mich dagegen, und es ist mein Stolz, möglichst wenig von dem zu verbergen, was in mir vorgeht.«

Dieses Bekenntnis zeigt für mich deutlich, was den Charakter Ihres Vaters ausmacht. Würden Sie dem zustimmen?

Nuria Schoenberg Nono: Ja. Es hat auch seine Musik immer seine Emotionen ausgedrückt und sie ist nicht Mathematik oder gar kalt, wie manche immer wieder sagen, was die Kritik einfach nicht verstanden hat. Er sah seinen Beitrag als Evolution, nicht als Revolution.

1913 war ein Schlüsseljahr. Wie ordnen Sie diese Zeit ein?

Nuria Schoenberg Nono: Er lebte damals ja schon in Berlin und hatte dort auch mehr Anerkennung als in Wien. Natürlich waren die Uraufführung der Gurre-Lieder und der Erfolg sehr wichtig, aber das hatte er im Grunde schon hinter sich gelassen. Er hatte sich schon von der Tonalität wegbewegt. Es ist nur leider das »Skandalkonzert« viel bekannter geworden als der Erfolg der Gurre-Lieder. Man spricht so viel darüber, dass es fast so aussieht, als hätte er nur Skandale gehabt. Der Skandal interessiert eben immer mehr als der Erfolg.

Das Publikum hat zu dieser Aufführung Position bezogen und das finde ich interessant. Man hat auf den Schlüsseln gepfiffen oder seine Meinungsverschiedenheiten auch mit den Fäusten ausgetragen. Es ist ein bisschen schade, dass es heute im Grunde keine Auseinandersetzung mehr gibt. Heute ist immer alles in Ordnung. Enthusiasmus gibt es nur für die großen Interpreten, was auch richtig ist. Aber die Musik selbst hat mit dem Erfolg oft nur wenig zu tun. Die Musik ist bei der Reaktion des Publikums viel weniger wichtig. Heute würde niemand mehr leidenschaftlich für Musik Position beziehen. Es ist sehr flach geworden.

Schönberg hätte es sich einfach machen und im spätromantischen Idiom bleiben können. Er stand aber mit seiner Existenz für die neue Ästhetik ein.

Nuria Schoenberg Nono: Er hat auch in der Kriegszeit für die Schublade komponiert und darauf gewartet, dass es einmal möglich sein würde, dass diese Werke gespielt würden. Es war eine »innere Notwendigkeit«, wie mein Vater einmal gesagt hat.

Gustav Mahler hat gesagt, er sei dreimal heimatlos: als Böhme in Österreich, als Österreicher im deutschen Reich, als Jude in der Welt.Auch Ihr Vater hat dreimal seine Heimat verloren: jene der Tonalität, was er selbst so entschieden hat; jene des Publikums und dann seine eigentliche Heimat, als er emigrieren musste.

Nuria Schoenberg Nono: Er hat vor allem seine kulturelle Umgebung verloren, als er nach Amerika kam: alle seine Freunde und Schüler. Er hat aber sehr gerne unterrichtet und ich glaube, dass ihn das gerettet hat. Er hatte auch Interesse an weniger begabten Schülern und er hat sich immer darum bemüht, auf sie individuell einzugehen. Manchmal kam er nach Hause und erzählte, dass bei einem Schüler »ein Licht aufgegangen sei«, bei dem er es gar nicht erwartet hatte.

Er hat sich in gewissem Sinn an die neue Situation in Amerika angepasst, aber er wollte sie verbessern. Dieses »Bessermachen« ist ein Schlüsselbegriff für das, was ich mit meinem Vater erlebt habe. Was immer man macht, sollte man auf die bestmögliche Weise machen. Das kann das Geschirrabwaschen ebenso sein wie das Komponieren. Man sollte jeden respektieren, jeden Arbeiter oder Handwerker, wenn er seine Sache gut gemacht hat. Das ist eine Seite des Charakters meines Vater, die sehr wichtig ist.

»Der Skandal interessiert eben immer mehr als der Erfolg.«

Haben Sie an Ihrem Vater erlebt, dass ihn das Schicksal des Exilanten belastet hat?

Nuria Schoenberg Nono: Ich habe ihn als sehr liebenden Vater erlebt, der für uns viel Zeit hatte. Als Kinder haben wir nicht erlebt, dass er sehr unterschiedliche Stimmungen hatte.

Aber ich glaube, dass er sehr gelitten hat, wenn ich denke, was er alles verloren hat. Erstens konnte er kein Englisch, als er nach Amerika kam. Er hat es dann gelernt und sein Wortschatz war erstaunlich, wenn man seine Schriften liest und seine Vorträge.

Seine Tochter Gertrud und deren Mann hat er noch nach New York bringen können. Aber sein Sohn Georg ist in Wien geblieben. Erst wollte er nicht weg und dann war es zu spät. Alleine die Tatsache, dass er während des Krieges nicht wusste, ob sein Sohn lebte oder nicht, reichte aus, um sehr bedrückt zu sein.

Auch die Kontakte, die er verloren hatte, sind hier zu erwähnen. Inzwischen war auch Alban Berg gestorben. Von Webern hatte man ihm erzählt, dass er politisch nicht ganz einwandfrei sei. Das hat ihn sicher auch sehr belastet.

Was waren die positiven Seiten?

Nuria Schoenberg Nono: Er war immer dankbar, dass er überhaupt in Amerika sein konnte und dass er eine Stelle an einer Universität hatte. Es gab andere, die in Deutschland wichtige Positionen innegehabt hatten und keine neuen Möglichkeiten hatten.

Meine Mutter war auch sehr wichtig. Sie war so optimistisch und stark. Sie hat so an ihn geglaubt. Das hat sie uns drei Kindern auch gegeben, dass wir wussten, wer unser Vater war und dass wir auf ihn stolz waren. Sie hat ihm wirklich auf jede erdenkliche Art geholfen.

Wir haben alle etwas Wichtiges von ihm bekommen: die Ethik. An seinem 75. Geburtstag gab es ein großes Fest bei uns, wo auch das Kolisch-Quartett dabei war. Am selben Tag musste ich mich zum ersten Mal an der Universität einschreiben lassen. Es warteten schon 2000 Studenten. Ich hatte also Angst, das Fest zu versäumen und ging zu einem befreundeten Professor aus der Verwaltung, der mich vorzog. Als ich das dann zu Hause meinem Vater erzählte, war er überhaupt nicht einverstanden. Mit dem Namen eines anderen dürfe man sich keinen Vorteil verschaffen, sagte er. Man muss sich das selbst verdienen.

Diese Reaktion war natürlich übertrieben, denn ich habe es ja für ihn gemacht und es hat niemandem geschadet. Aber irgendwie habe ich diese Idee behalten.

Man kann diese Anekdote auch auf seine Kunst beziehen: seinen Weg gehen und dafür einstehen. Als er von Hollywood um Filmmusik gefragt wurde, hat er die Summe so hoch angesetzt, dass es quasi unmöglich war, dass er den Auftrag bekommt.

Nuria Schoenberg Nono: Er hat gesagt: Wenn ich Selbstmord begehe, dann möchte ich wenigstens nachher gut leben können. Aber es gibt Skizzen für diese Film­musik. Irgendwie hat es ihn doch interessiert.

Was haben Sie über Wien erfahren, als Sie in Los Angeles gelebt haben?

Nuria Schoenberg Nono: Am ehesten etwas von meiner Großmutter, die uns Walzer vorgespielt hat. Wir haben über Wien nicht viel Positives erfahren. Es gab da diese Parodie: »Wien, Wien, nur du allein, dir wird man die Schande nicht verzeihen.« Irgendwie kam aber doch in vielen Dingen die Liebe zu Wien durch. Es war eine Hassliebe zu Wien, denn in Wien war schon so etwas wie eine »echte« Atmosphäre. Als meine Mutter 1954 zur konzertanten Uraufführung von Moses und Aron nach Europa zurückkam, da sagte sie: »Ach, hier gibt es echte Gesichter. In Amerika ist alles Plastik!«

Man hat nie mit Nachdruck versucht, Ihren Vater nach dem Krieg nach Europa zurückzuholen.

Nuria Schoenberg Nono: Der Wiener Bürgermeister hat ihm geschrieben und er ist auch 1950 und 1951 nach Darmstadt zu den Ferienkursen eingeladen worden. Aber erstens war er damals schon krank und dann war er sich auch nicht sicher, ob es nicht doch noch Antisemitismus gab – und es hat ihn natürlich gegeben.

Schönberg hat ganz schlimme Erfahrungen mit Antisemitismus gemacht. Hat er Sie als Kinder darauf vorbereitet, dass so etwas kommen könnte?

Nuria Schoenberg Nono: Nein, überhaupt nicht. Er hat über diese Dinge nicht gesprochen. Ich bin 1932 geboren und meine Brüder noch später. Wir wurden katholisch erzogen, weil meine Mutter katholisch war, und wussten eigentlich fast nichts von der jüdischen Religion. Als Älteste wusste ich natürlich, was in Deutschland los war. Aber mein Vater hat darüber nicht gesprochen. Er hat auch von Europa nicht viel erzählt. Das tut mir jetzt natürlich leid, denn ich hätte ihn ausfragen können. Aber wir waren eine mehr oder minder normale Familie. Wir haben über Schularbeiten gesprochen und nicht über seine Erlebnisse in Wien. Er hat an unsere Zukunft gedacht. Wir haben nicht sehr viel über Politik oder die Vergangenheit gelernt.

Was würden Sie ihn heute fragen?

Nuria Schoenberg Nono: Als ich das Buch mit Dokumenten über sein Leben gemacht habe, da habe ich praktisch alles, was im Archiv war, angesehen und angehört. Da habe ich über ihn sehr viel gelernt und es gibt viele Dinge, die ich gern wissen würde.

Es ist aber auch so, dass ich ihm heute nach einer guten Aufführung gerne sagen würde, dass seine Musik großen Erfolg hatte. Daniel Barenboim hat unlängst an der Mailänder Scala die Orchestervariationen op. 31 dirigiert und eine kurze Einführung gegeben, wo und wann welches Motiv auftaucht, wie es sich entwickelt usw. Das Publikum war sehr konzentriert und es war ein riesiger Erfolg. Manchmal habe ich das Gefühl: Wenn er das nur mitbekommen könnte! Das sind so Momente, die alles wieder gutmachen. Ich hoffe, obwohl ich nicht sehr gläubig bin, dass er das auch mitbekommt.

Aber er wusste es. Einmal hat er zu mir gesagt: »Ich bin mir sicher, dass meine Musik einmal verstanden wird, weil es heute schon fünf gibt, die sie verstehen.« Ich kann mich an die Namen nicht mehr erinnern. Aber er sagte, dass wir uns keine Sorgen machen sollten. Er war sich sicher, dass er später angenommen werden würde, und er wusste, wer er war.

Ich finde die Geschichte sehr berührend, als Ihr Vater einmal durch Zufall an einer Tankstelle im Radio »Verklärte Nacht« hörte. Ihr Bruder Larry sagte, er habe Ihren Vater nie glücklicher gesehen.

Nuria Schoenberg Nono: Ja, es war aber nicht an einer Tankstelle. Wir sind im Sommer immer nach Santa Barbara gefahren und am halben Weg gab es einen Kiosk, in dem man frisch gepressten Orangensaft kaufen konnte. Das war am Land. Wir sind da immer stehen geblieben. Es gab da Lautsprecher und aus denen kam die Verklärte Nacht. Auch an seinem Geburtstag wurde er im Radio gespielt: die Gurre-Lieder, ich glaube, in einer Aufnahme mit Leopold Stokowski. Es gab schon so Momente, wo man wirklich glücklich war.

Interview: Wolfgang Schaufler