Hans Sommers Spätromantische Juwelen
Hans-Christoph Mauruschat
Der Braunschweiger Hans Sommer (1837–1922) eroberte mit seinem Liedschaffen ab den 1880er-Jahren für rund drei Jahrzehnte einen festen Platz in den Konzertsälen. Hinsichtlich der Entwicklungsgeschichte des spätromantischen Klavierlieds verortete Sommers bislang einziger Biograf Erich Valentin ihn zeitlich unmittelbar vor Hugo Wolf: „In ihm berühren sich – man möchte fast sagen: zum ersten und einzigen Male – die Linien, die von Schumann und Liszt ausgehen.“ Nun erleben seine Lieder eine Renaissance, auch auf CD, mit den herausragenden Solisten Elisabeth Kulman und Bo Skovhus. Sebastian Weigle dirigiert die Bamberger Symphoniker.
Hans Sommer studierte privat Musik und war als Komponist unter anderem Schüler von Franz Liszt. Er war Vorsitzender (und zusammen mit Richard Strauss der Initiator) der Genossenschaft Deutscher Komponisten (1898–1903). 1875 traf Sommer erstmals mit Richard und Cosima Wagner zusammen, gründete in Braunschweig einen Wagner-Verein und ist in den Folgejahren durchaus zum Künstlerkreis Wahnfrieds zu zählen, suchte aber, wie Sommer selbst in seinen Lebenserinnerungen schrieb, „einer blinden Gefolgschaft“ zu entgehen.
„Das ist einfach tolle Musik.“
Sommer-Interpret Leo Slezak
Im Alter von vierzig (!) Jahren begann Sommers Karriere als freischaffender Komponist. Von 1882 an ließ er in schneller Folge bei Henri Litolff’s mehr als einhundert Lieder und Balladen erscheinen, bevor ihn der Achtungserfolg seiner Oper Lorelei (UA 1891), die auch Richard Strauss 1892 in Weimar herausbrachte, als Opernkomponisten etablierte. Mit dem Münchner Bariton Eugen Gura, bekannt für seine Verdienste als früher Interpret der Lieder Hugo Wolfs, und Sommers Schwiegervater Karl Hill, Wagners ersten Bayreuth-Alberich, fanden Sommers Lieder in den Konzertsaal – durch Leo Slezak auch auf Schallplatte – und wurden im Feuilleton diskutiert.
Wie besonders bei den 1886 erschienenen Romanzen und Balladen op. 8/op. 11 evoziert auch bei einigen von starker Dramatik geprägten Liedern der Klaviersatz bereits einen spätromantischen Orchesterapparat, sodass als Konsequenz Sommer Ende 1884 sein wenige Monate zuvor als op. 6 veröffentlichten, sechsteiligen Liedzyklus Sapphos Gesänge im Anschluss an einen kurzen Studienaufenthalt bei Franz Liszt und möglicherweise auf Anregung von jenem orchestrierte (Liszt: „Die Lieder sind freilich sehr dramatisch gehalten, aber mit Verstand und Geschmack. Fahren Sie nur so fort!“).
„Ich möchte in jedem Fall öfter Hans Sommers Lieder singen.”
Lieder und Balladen
Liszts Rolle als wichtiger Wegbereiter des spätromantischen Orchesterliedes erfährt mit Sapphos Gesänge einen weiteren – indirekten – Beleg, denn Sommer ist im deutschen Sprachraum deutlich der Erste, der eine inhaltlich zusammenhängende Liederfolge (Aufführungsdauer rund 25 Minuten) zu einem Orchesterliedzyklus für Sologesang und symphonisches Orchester umformt. Sommer ließ die Orchesterfassung von Sapphos Gesänge allerdings vermutlich erst um 1903 als Leihmaterial erscheinen.
Die erste öffentliche Erwähnung des Orchesterliedzyklus’ datiert dagegen vom Januar 1885 (Allgemeine Musik-Zeitung, Berlin). Seine Uraufführung erlebte ein Einzellied daraus 1889 in den Niederlanden, der komplette Zyklus in Braunschweig 1903. Insgesamt liegen von Sommer 29 Orchestergesänge vor (u. a. eine geschlossene Gruppe von 20 Goethe-Liedern, komponiert und orchestriert zwischen 1919 und 1921).
Von den 10 Opern Sommers hatte besonders der 1892/93 in Weimar komponierte Einakter Saint Foix als Erstlingswerk der historisierenden „Konversationsoper“ (UA 1894) trotz zunächst vehementer Ablehnung des Publikums wie der Kritik das Interesse und die Wertschätzung bei Kollegen geweckt, vor allen anderen bei Richard Strauss („modernes Pendant zum Barbier von Sevilla und Figaros Hochzeit“), mit dem Sommer seit den gemeinsamen Weimarer Jahren (1889–1894) eine anfangs engere, später dann weniger intensive, dennoch lebenslange, von gegenseitigem Respekt geprägte Freundschaft verband.
„Hans Sommers Orchesterlieder sind eine echte Entdeckung.”