»Ich war nämlich wieder fleißig im Sommer«

BÁLINT ANDRÁS VARGA


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Es ist wohl Zufall, dass Béla Bartók der ungarische Komponist geworden ist, den wir heute kennen. Nach dem frühen Tod seines Vaters, der Direktor einer kleinen Schule in Nagyszentmiklós (im heutigen Rumänien) gewesen war, war seine Mutter gezwungen, alleine für ihre beiden Kinder (Béla hatte eine Schwester, Elza) zu sorgen. Die Familie lebte in verschiedenen Städten der österreichisch-ungarischen Monarchie, so auch in Pressburg (Pozsony für die Ungarn, Bratislava für die Slowaken). Die Stadt lag viel näher bei Wien als bei Budapest und es wäre einleuchtend gewesen, wenn der begabte junge Musiker an der berühmten Musikakademie der Hauptstadt seine Studien weitergeführt hätte.

Dass sich Bartók und seine Mutter für Budapest ­entschlossen, lag an dem Einfluss von Bartóks Freund Ernö (Ernst) von Dohnányi, der vier Jahre älter war und obwohl er in Pressburg geboren worden war, seine Studien an der Franz-Liszt-Musikakademie in Budapest fortsetzte – Klavier bei dem Liszt-Schüler István Thomán und Komposition bei Hans Koessler. Bartók folgte seinem Freund auch bei der Wahl dieser Professoren nach. 

Entscheidend an den Budapester Jahren wurde die Begegnung mit Zoltán Kodály, der zwar ein Jahr jünger, aber dennoch von prägendem Einfluss auf Bartók war. Bartók, mit dem Kodály bald eine enge Freundschaft ­entwickelte, betrachtete ihn als reifer, weiser, gebildeter als sich selbst und wandte sich immer wieder für Ratschläge an ihn.

Anfang des 20. Jahrhunderts besannen sich die Ungarn immer mehr ihrer nationalen Identität (kein Wunder, dass eines von Bartóks frühen Orchesterwerken dem Andenken des Revolutionsführers Lajos Kossuth gewidmet war) und eine Zeit lang trug Bartók eine Art Tracht, um seinen Patriotismus zu betonen.

Wesentlich wichtiger war die Erkenntnis, die er mit Kodály teilte, dass sich die ungarische Kunstmusik in einer Sackgasse befand. Als einzigen Ausweg sahen die beiden jungen Komponisten die Erforschung der genuinen ungarischen Volksmusik, um sie einer wissenschaftlichen Untersuchung zu unterziehen und darauf basierend eine neue Art von Kunstmusik zu schaffen.

Sie folgten dabei dem Beispiel von Béla Vikár (1859–1945), der schon 1896 angefangen hatte, Volkslieder zu sammeln und sie, wohl als erster in Europa, auf Phonographzylindern aufzuzeichnen. Vikár war der Bahnbrecher, Bartók und Kodály wurden die Begründer der Ethno­musikologie als wissenschaftlicher Disziplin in Ungarn.

Bartóks erste Kompositionen wurden bei den ­ungarischen Verlagen Rózsavölgyi und Rozsnyai in Budapest ­verlegt. 1918 erfolgte der erste Vertragsabschluss mit der Universal Edition in Wien, deren Direktor, Emil Hertzka, gebürtiger Ungar war. So gelang es, dass Bartóks einzige Oper, Herzog Blaubarts Burg, schon den UE-Katalog ­bereicherte. Jahrzehntelang – bis zur faschistischen Machtübernahme in Europa und Bartóks Emigration in die USA 1940 – wurden seine Kompositionen von Mit­arbeitern des Wiener Verlages betreut.

Allerdings erschien Hertzkas Name in Bartóks Briefen schon 1901 zum ersten Mal. Da lebte der spätere Direktor der UE noch in Budapest: Der neunzehnjährige Komponist berichtete seiner Mutter nach Pressburg über seine Versuche, Privatstunden zu geben, um Geld zu verdienen. Hertzka habe ihm geraten, höchstens 10–12 Stunden anzunehmen.

In der Korrespondenz mit seiner Familie begegnen wir Hertzkas Namen erst 1918 wieder. Bartóks erste Frau, Márta Ziegler, schrieb ihrer Schwiegermutter: »Und nun, passt ihr alle auf: Die Universal-Edition führt Gespräche mit B. – sie wolle alle seine Werke herausgeben. Man habe die Absicht, den Vertrag für 6 bis 10 Jahre abzuschließen (B. will sich wahrscheinlich für zehn Jahre entscheiden); man verpflichtet sich, jährlich vier Kom­positionen zu veröffentlichen. Darüber hinaus wolle man auch sämtliche, bei Rózsavölgyi und Rozsnyai verlegten Stücke übernehmen. Über Tantiemen wolle man später verhandeln. Ich schreibe darüber später, nach Vertragsabschluss. – B. strahlt – das genügt, nicht wahr? Weil dies bedeutet nicht nur, dass die vorhandenen Werke, die bisher nicht erschienen sind, auch verlegt werden sollen (da B. nie mehr als zwei Stücke pro Jahr komponiert, werden die anderen zwei von den alten genommen), sondern auch, dass die Universal viel Propaganda für die Bühnenwerke machen wird, damit sich die Partituren gut verkaufen lassen. Hertzka hatte genug Zeit, sich zu überlegen, seit der Pantomime, die ihm offensichtlich Angst einjagte. Er ist ein guter Geschäftsmann, er nimmt seine Entscheidungen nie überstürzt.« (Mit Pantomime war Der holzgeschnitzte Prinz gemeint.)

Nach Bartóks Meinung war die ungarische Kunstmusik in einer Sackgasse.

BÁLINT ANDRÁS VARGA

Dass Emil Hertzka die Promotion der Bartókschen Werke ernst nahm, erfahren wir aus einem Brief Frau Bartóks aus 1920: »Letzte Woche kam ein Brief von seinem Ver­leger, Hertzka, aus New York: Er habe zahlreiche Pianisten für die Werke Bélas interessiert, die sie spielen wollen. Den Bärentanz habe man in Amerika neu gedruckt.«

1923 berichtete Bartók seiner Mutter, dass Hertzka in Wien eine Bartók-Woche veranstalten wolle, ähnlich der Berliner Konzertreihe, die im selben Jahr stattfand – nur wolle er es besser machen.

1928 besuchte Hertzka Bartók in Budapest und urteilte wohlwollend über dessen neuen Wohnung. »Wir haben einige geschäftliche Angelegenheiten besprochen sowie auch meine neueren Kompositionen. Ich war nämlich wieder fleißig im Sommer: habe ein etwa zwölfminütiges Stück für Violine und Klavier geschrieben [die 1. Rhapsodie ist gemeint]; dies ist ein kleineres Werk. Das größere ist ein neues Streichquartett [das Vierte], was ziemlich viel Arbeit verursachte, es ist schon fast fertig. Ditta und ich haben versucht, den ersten Satz auf zwei Klavieren zu spielen, d. h. wir haben hart daran gearbeitet, weil er ziemlich schwer ist.«

Bartók stattete der UE 1930 einen Besuch ab. Er begegnete dem aus Amerika soeben eingetroffenen Direktor Hertzka, anderen Mitarbeitern sowie Rudolf S. Hoffmann, der die 20 ungarischen Volkslieder ins Deutsche übertragen hatte. Er bekam auch Korrekturen, die er noch am selben Abend durchführte.

Der einzige Hinweis, dass das Verhältnis mit Hertzka nicht immer ungestört verlief, geht aus Bartóks Brief an seine Mutter von 1931 hervor, in dem es heißt, es herrsche »ex lex« zwischen den beiden, der Komponist sei aber bereit, den Vertrag zu verlängern. Aus anderen Quellen wissen wir, dass Bartók auch andere Gründe für Unzufriedenheit hatte: Die Partitur des ersten Klavierkonzerts etwa wurde nicht gestochen, nur lithographiert, auch wurde davon keine Taschenpartitur herausgebracht. Es waren wirtschaftlich schwere Zeiten kurz nach dem Börsenkrach 1929, die UE musste sparen.

Es war trotzdem eine heile Welt für Bartók, die mit Hertzkas Tod 1937 und dem Anschluss im Jahr darauf endete. Bartók war verzweifelt: Die politischen Ereignisse ängstigten ihn und damit verbunden war auch die Sorge um das Schicksal seiner Werke in der »arisierten« Universal Edition. Der Vertrag mit der UE endete 1939 und Bartók schloss sich Boosey & Hawkes an.

Ein wichtiges Kapitel der Geschichte der Universal Edition – gleichzeitig auch im Leben von Béla Bartók – nahm ein unschönes Ende. Als es wieder hätte normalisiert werden können, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, starb der Komponist in den Vereinigten Staaten.