Wagner aus neuer Perspektive

Eberhard Kloke


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Das Rheingold ist mit seinen vier Szenen und einer Spieldauer von ca. zweieinhalb Stunden der kürzeste Abend von Richard Wagners Ring des Nibelungen. Damit der Vorabend der Ring-Tetralogie auch von kleineren Bühnen realisiert werden kann, hat Eberhard Kloke eine reduzierte Fassung für 54 Instrumentalisten und 11 Solisten erstellt. Nach welchen Kriterien er vorgegangen ist, beschreibt er hier:

Meine lebenslange konzeptionelle und praktische Auseinandersetzung mit Richard Wagners Werk und seiner Wirkungsgeschichte hat dazu geführt, am Rheingold auszuloten, wie die Partitur gleichsam komprimiert und für eine kleinere Orchesterbesetzung verdichtet werden kann.

Dies geschah im Wissen um die von Wagner zur Kenntnis genommene und angeblich autorisierte, so genannte Coburger Fassung (liegt nicht in Partitur vor, sondern nur in den geänderten Einzelstimmen), eine »Ad-hoc-Bearbeitung« für kleines Orchester, welche jedoch auf das Ring-typische Instrumentarium verzichtete und wohl eher nicht heutigen Ansprüchen einer »authentischen« Transkription genügen würde.

Das Rheingold wurde bekanntlich nicht für einen verdeckten Orchesterklang (siehe Bayreuths verdeckter Orchestergraben) konzipiert, vielmehr für konventionelle Opernhäuser mit offenem Orchestergraben. Es gilt, sich immer bewusst zu machen, dass spätestens seit Erfindung der Tonaufnahme und des Lautsprecherklanges der »mystische Abgrund« (verdecktes, unsichtbares Orchester) eine Art Anachronismus darstellt: Die Idee des indirekten Orchesterklanges (Parsifal war selbstverständlich im Hinblick auf die akustischen Verhältnisse des Bayreuther Festspielhauses zugeschnitten) ist historisch eingeholt worden von der technischen Entwicklung. Erinnert sei nicht zuletzt auch an die großen Fortschritte im Instrumentenbau der letzten 125 Jahre. Noch zu Wagners Zeiten bestand eine Hauptmotivation für ein »verdecktes« Orchester darin, störende Nebengeräusche der Instrumente zu eliminieren!

Die Vorstellung von »Klang« (Sound) wandelte sich aufgrund der technischen Veränderungen vom vermischten, versteckten/verdeckten und verstellten Klang mehr und mehr in Richtung

a) offengelegte Klangstrukturen,
b) analytisch geprägte und erprobte Klänge,
c) detailgeschärfte Klänge zur musikalischen Verdeutlichung eines sichtbaren (einsehbar) wie direkt hörbaren (eben plastisch-durchhörbaren) Orchesterklanges.

»Ein Kunstwerk existiert nur dadurch, daß es zur Erscheinung kommt.«

Richard Wagner

 

Kurzum: »Spaltklang« statt »Mischklang«
Damit soll nicht gesagt werden, dass eine ­Interpretation besser oder authentischer ist, je weiter sie sich vom ursprünglichen Aufzeichnungsmedium oder konzipierten Werkcharakter entfernt, vielmehr, dass durch die genannten Veränderungen und Entwicklungen sich die Perspektive eines Werkes, die Produktion (Interpretation!) und damit auch die Rezeption von Musik verändern.

Zentrales Anliegen für eine neue Transkription von Wagners Das Rheingold für 11 Soli (inkl. Doppelrollen) und 54 Instrumentalisten war also, eine aufführungspraktische Alternative für das Stück – bei grundsätzlicher Beibehaltung der Partitur Wagners – herzustellen. Dieser Versuch sollte jedoch nicht mit den Ansätzen der so genannten historisch informierten Interpretationspraxis – siehe die gerade kürzlich gemachten Erfahrungen mit Rheingold des Orchestra of the Age of Enlightenment – verwechselt werden.

Bei der vorgenommenen Transkription geht es um eine nicht geringfügige Veränderung des Klangbildes und damit der Klangstruktur innerhalb des Orchesters sowie der Balance zwischen Bühne und Orchester.

Dem vermeintlichen Verlust von »großer Oper« wird eine radikale kompositorisch-klangliche Substanz im Sinne einer Feinabstimmung zwischen Soli und deutlich ver­kleinertem Orchester entgegengesetzt.

Die Auswirkung auf opernpraktische Konsequenzen im Hinblick auf variable Besetzungsalternativen in Richtung schlankere, »sprachfähigere« Stimmen wird sich einstellen. Textverständlichkeit und Klang-Transparenz werden die theatralische Präsenz erhöhen, was Wagners postuliertem musiktheatralischem Anliegen entspräche. In diesem Zusammenhang möchte man auf Wagners »letzte Worte« an die Sänger vor der Ring-Uraufführung 1876 erinnern: »Deutlichkeit! – Die großen Noten kommen von selbst; die kleinen Noten und ihr Text sind die Hauptsache.«

Alternativer Aufführungsrahmen
Der nun aktuell vollzogene Transkriptionsprozess hat die Orchestersprachmöglichkeit sowohl durch weitere Ausdifferenzierung einerseits wie durch Einführung neuer Instrumente andererseits erweitert und »modernisiert«.

Somit werden sowohl Klangerweiterung als auch Klangverdichtung erzielt, zumal die Ring-typischen Instrumente wie Wagnertuben, Basstrompete und Kontrabassposaune in die transkribierte Fassung integriert sind. Den neu eingeführten Instrumenten Altflöte, Heckelphon, Kontrabassklarinette, Kontrafagott (Passagen) und Cimbasso (als Bindeglied zu Tuben und Posaunen) als besonderen dramatisch-psychologischen Klangträgern kommt dabei besondere Bedeutung zu.

Auf folgende Notationsproblematik sei kurz verwiesen: Einiges in der Notation der transponierenden Instrumente – insbesondere der Wagner-Tuben – befindet sich im Rheingold noch im experimentellen Zustand. Wagner notierte diese transponierenden Instrumente inkonsequenter Weise einmal mit, einmal ohne Tonartvorzeichen. So galt es zu verifizieren, wann, wo und wie lange aus inhaltlich-dramatischen Gründen die Version mit Tonartvorzeichen (Walhall: Es fehlt die »Unschuld« der Naturinstrumente nach dem Fluch; Schlusstableau: Am Ende schlüpft alles bewusst unter die Tonartdecke des »seligmachenden« Es-Dur) oder ohne Tonartvorzeichen (Vorspiel: Naturszene, also Naturklang ohne Tonartvor­zeichen) verwendet werden sollte.

Mit der sich in statu nascendi befindlichen Transkribierung der Walküre wird ein weiterer Weg gezeichnet, Wagners Musikdrama für neue und alternative Aufführungsrahmen, aber auch im Hinblick auf neue Interpreta­tionsmöglichkeiten zu öffnen.


Eberhard Kloke

geb. 1948, ehemaliger General­musikdirektor (Ulm, Bochum, Nürnberg), Komponist und Buchautor («Wieviel Programm braucht Musik?»)


Die Transkription ist konzipiert für 54 Instrumentalisten.

Die Besetzung:

11 Soli (Doppelrollen von Woglinde und Freia, Mime und Froh,
Fasolt und Donner) Wotan, Donner (Fasolt), Froh (Mime), Loge Fricka, Freia (Woglinde), Erda Alberich, Mime (Froh) Fasolt (Donner), Fafner Woglinde (Freia), Wellgunde, Floßhilde

Orchester 2 2 2 2 - 4 2 3 1 - 3 Pk-Perc, Hfe;
Streichquintett (10 8 6 5 4 = 33)

Holz: 2 2 2 2 = 8 Fl 1 (Picc),
Fl 2 (Altfl, Picc),
Ob 1 (Eh),
Ob 2 (Eh, Heckelphon),
Klar 1 in B (in A, in C, Bassklar in B),
Klar 2 in B (in A, Bassklar in B+A, Kontrabassklar in B),
Fg 1, Fg 2 (Kfg)

Blech: 4 2 3 1 = 10 Hr 1 in F (Wagnertuba in B),
Hr 2 in F (Wagnertuba in B),
Hr 3 in F (Wagnertuba in F),
Hr 4 in F (Wagnertuba in F),
2 Trp in B (in Es),
3 Tenor-Basspos (1. auch Basstrp. in Es/C, 3. auch Kontrabasspos.);
1 Cimbasso/Kontrabasspos. – 2 Pk+Perc, 1 Hfe = 3

Streichquintett: 10 8 6 5 4 = 33

Tutti: 54 Musiker